Aurum & Argentum (German Edition)
Reinecke war verzaubert von dem Anblick. Calep grinste nur, als hätte er auf seinem Weg schon vieles gesehen, und ihn interessierte sehr, was hinter dem „Torbogen“ lag. Als er einen Blick hindurch warf, konnte er eine Quelle mit kristallklarem Wasser sehen, die umrankt war von Edelrosen in allen Farben des Regenbogens.
„ Ihr habt noch nicht die Baumkönigin dieses Forstes gesehen“, unterbrach der Hengst die andächtige Stille, „folgt uns, ihr werdet es nicht bereuen.“
Zusammen mit seiner Gattin und seinem Nachwuchs durchschritt er das „Tor“, an der Quelle blieben sie stehen und warteten.
Leon stockte fast der Atem, als er sah, was sich hinter dem Wasserbecken gen Himmel erhob.
„ Bei Odins sich magisch vermehrendem Zauberring!“, tat Calep sein Erstaunen kund. Der Mantichora holte schnaufend Luft und Flux verschlug es die Sprache.
„ Du heiliger Fuchsschwanz“, brummte Reinecke, „wenn ich das meinen Eltern erzähle, würden sie mir kein Wort glauben.“ Er schluckte trocken und ihm fiel ein, dass er ja gar nicht mehr zurückkehren konnte. Seine Mutter hatte ihn fortgeschickt, um ein eigenes Revier zu suchen und selbstständig zu leben.
Auch Leon war tief ergriffen, die Königin des Waldes erhob sich pompös gen Himmel. Gegen sie war selbst der mächtige Kastanienbaum nur ein Bonsai. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, dies ist die Weltenesche Yggdrasil“, murmelte er. In jenem Mythos, an den auf der Erde auch die Germanen und Wikinger geglaubt hatten, war dieser Lebensbaum so riesig, dass er mehrere Welten miteinander verband, die Götterwelt Asgard, die Welt der Riesen mit dem Namen Jotunheim und Niflheim, die Welt der Toten. Außerdem befand sich ein Teil von ihr natürlich auch in Midgard, der Mittelwelt der Menschen.
„ Nun, eine Esche ist sie nicht“, gab Calep seinen Senf dazu. Leon verzog ein wenig die Mundwinkel, so schlau war er schließlich auch noch, um zu erkennen, dass es sich hier um eine Eiche handelte. Ihr Stamm hatte einen bronzenen Schimmer und überall wuselten Eichhörnchen, um sich von den Nussfrüchten zu bedienen.
„ Sie muss viele hundert Jahre alt sein“, bemerkte der Monoceros und seine Frau fügte hinzu: „Vielleicht sind es auch schon Jahrtausende. Man munkelt sogar, sie habe alle Zeitalter miterlebt und sei einst während der Schreckensherrschaft des Drachenfürsten als Baum der Hoffnung gepflanzt worden.“
„ Ohne Frage ist sie jedoch einer der schönsten und ältesten Bäume der ganzen Welt“, trumpften die Zwillingsschwestern auf, „Papa sagt immer, ihr würden höchstens noch die Mammutbäume im unendlichen Wald oder der Lebensbaum auf Morganas Insel Manoa Konkurrenz machen.“
„ Alle Bäume sind prächtig“, ging die Mutter dazwischen, „aber wie bei uns gibt es auch bei ihnen Könige und Kaiser.“
Schweigend und nachsinnend standen sie da, bis Calep Leon anstieß und auf den Kompass zeigte.
„ Du hast Recht“, murmelte der Kentaur, „wir müssen weiter.“
Flux, der gerade mit den Eichhörnchen spielte und über und über mit ihnen bedeckt war, seufzte, doch es half alles nichts. Die Monocerosfamilie verstand, sie wollten die Reisenden auch nicht länger aufhalten. Zum Abschied entschuldigte sich der Hengst noch einmal, obwohl man ihm längst verziehen hatte.
„ Nun denn, wollen wir?“, der alte Mantichora hielt sich bereit. „Wenn es euch nichts ausmacht, begleite ich euch noch ein Stück.“ So setzte sich also wieder der kleine Trupp geschlossen in Bewegung, Leon gab die Richtung an und Flux sah noch lange zurück zu den Einhörnern und Eichhörnchen.
„ Mögen alle guten Mächte mit euch sein“, rief ihnen der Hengst noch nach, „wo auch immer euch euer Weg hinführen mag!“
Mit neuem Proviant und dem Wissen über einen weiteren Schatz von >Aurum & Argentum<, zogen sie mehrere Tage weiter durch das Land, über ausgedehnte Grassteppen und vorbei an vielen kleinen Seen und Wäldern. Bis sie eines Abends auf einer Anhöhe anlangten und unter sich eine riesige Herde vorbeigaloppieren sahen.
„ Einhörner! Ein ganzer Haufen!“, kläffte Reinecke, jedoch war keines mit rotem Kopf dabei, dafür aber alle erdenklichen Brauntöne, schwarz und weiß und dazu noch die Farben des Regenbogens. Manche waren bunt gescheckt, einige sogar gestreift. Keines schien einem zweiten auf das Haar zu gleichen. Sogar ihre Hörner unterschieden sich, sie waren lang und spitz oder kurz und stumpf, gewunden oder
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