Aurum und Argentum (2) - Die magischen Avatare (German Edition)
gar nichts, sich etwas vorzumachen. Dieses Würstchen war kein imposanter Formwandler, es war ein ganz normales Bi-Bi.
„Armes Kerlchen“, Kleopatra hob das Baby hoch und kraulte es am Bauch, „der olle Calep hat dich gar nicht verdient!“ Beleidigt verschränkte der Knabe die Arme und schielte zu Nepomuk. Der Keythong wäre ihm als Partner lieber gewesen.
„Zu welchen magischen Avatar soll ich mit diesem Kuschelwuschel denn aufsteigen? Zum König der Plüschtiere?“
„Armer Calep“, kam es aus Kleopatras Mund, doch es war nicht ihre Stimme, „ich bin es, Morgana und ich habe dir eine traurige Nachricht zu überbringen. Dein Amulett wurde nicht gestohlen, es hat sich aufgelöst, denn dein Partner ist bei Sonnenaufgang verstorben. Niemand kann seinen Platz einnehmen, nicht einmal sein Junges. Es bricht mir das Herz, Calep, aber ich muss dir sagen, dass du niemals zu einem magischen Avatar aufsteigen wirst. Du kannst gerne bei der Gruppe bleiben. Sie sind deine Freunde und ich will euch nicht trennen. Ich wünschte, es wäre anders, aber ich kann dir die Wahrheit nicht verschweigen: Dein Amulett ist zu Staub zerfallen, du bist daher nicht länger ein Auserwählter. Aber du warst es eine Zeit lang und das macht dich zu etwas ganz Besonderem. Ich glaube an dich, Calep, du wirst deinen Platz im Leben finden.“
Kleopatra machte einige Sekunden die Augen zu, dann öffnete sie sie wieder und starrte verwundert in Caleps starres Gesicht. „Was ist denn mit dir passiert?“, fragte sie. „Hast du ein Gespenst gesehen?“
Flux runzelte leicht die Stirn: „Weißt du das nicht mehr? Morgana hat durch dich gesprochen.“ Kleopatras Augen weiteten sich. „Das hat sie doch schon einmal getan“, erinnerte sich Flux, „als Leon mit Orion verschmolz hast du auch mit fremder Stimme geredet.“
Kleopatra machte den Mund auf und alle erwarteten, dass sie wieder laut losschimpfte. „Morgana hat mich als Sprachrohr benutzt? Die große, allwissende Morgana? Die höchste Königin? So wie sie zu sein, strebe ich immerzu an! Welche große Ehre! Oh danke, Morgana!“ Alle schüttelten etwas unwillig mit den Köpfen, während Kleopatra weiter vor sich hinsäuselte.
Was Morgana verkündet hatte, war zumindest nicht erfreulich gewesen. Stumm bedauerten alle den armen Calep, der sich ziemlich verloren fühlte. „Ich wäre so gerne dein Partner gewesen“, heulte Nepomuk, „ich wollte dich nicht anlügen und habe es trotzdem getan. Nun hasst du mich sicher.“ Doch Calep seufzte nur und kniete sich neben ihn, er sah zu dem Bi-Bi, den Kleopatra wieder abgesetzt hatte, dann zu Nepomuk und wieder zurück.
„Unsinn“, murmelte er, „ich bin doch ein viel größerer Aufschneider.“ Alle hielten den Atem an und Calep begann mit seiner Beichte. „Ich bin gar kein wagemutiger Held. In Wahrheit habe ich nie in einer Drachenhöhle genächtigt oder irgendeine Dame vor einem Ungeheuer gerettet. Ich war stets in der Obhut meiner Eltern und Schwestern. Wir wohnen bei Adligen in einem Anwesen. Mein Vater pflegt den Garten, meine Mutter die Räume. Unsere Herrschaft ist so nett, dass meine Schwestern zusammen mit den Kindern des Hauses vom Privatlehrer unterrichtet wurden. Ich habe immer die Schulstunden geschwänzt und meinen Gedanken nachgehangen, in denen ich Abenteuer wie die Helden aus den Märchen erlebte. Mein größtes Erlebnis war es, dass ich bei einem Waldspaziergang mit der Familie vom Weg abgekommen bin und mich verlaufen habe. Meine Schwestern haben mich dann heulend irgendwann gefunden ... In Wahrheit bin ich ein ziemlicher Feigling. Doch als Morgana zu mir kam und mir sagte, ich sei auserwählt, da wurden meine Träume wahr. Ich war so begierig darauf, endlich etwas zu erleben, dass ich loszog, anstatt auf euch zu warten, so wie sie es mir geraten hatte. Ich war nur einen Tag alleine unterwegs und wäre doch fast von einem Raubtier gefressen worden. Als ich dann Flux und Leon traf, wollte ich nicht die Wahrheit sagen und habe mir fantastische Geschichten ausgedacht ...“ Seufzend ließ er den Kopf und die langen Ziegenohren hängen. Nepomuk schniefte noch immer und schielte ihn aus wässrigen Augen an:
„Ich bin dir nicht böse. Wir sind beide Aufschneider und wir sind Freunde.“
„Ich wünschte, wir könnten etwas tun und dein Amulett zurückholen“, beteuerte Orion nach einer Pause.
„Ist schon gut“, erwiderte Calep, „mein Traum ist wahr geworden. Ich habe viele Abenteuer erlebt und die Welt gesehen.
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