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Aus dem Berliner Journal

Aus dem Berliner Journal

Titel: Aus dem Berliner Journal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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gelassen. Eine Auseinandersetzung, die auch einmal stattfinden muss. Später gefragt, was ich eben habe sagen wollen, weiss ich es tatsächlich nicht mehr. So wichtig wird es nicht gewesen sein. Ich zeige nicht nur wie vorher, 84 dass ich zuhöre, sondern jetzt höre ich wirklich zu, aber es scheint, dass mein Ohr mittlerweile böse geworden ist; lauter Repetition, was ich höre, das Erwähnen von Kenntnissen ohne Einfall dazu, ich finde den kleinen Hund lebendiger. Das ist meine Schuld, ich weiss; es ist an mir, etwas Busse zu tun, nachher das Geschirr zu spülen, ein Alter, der sogar so reizvolle Kinder nicht mehr verträgt; noch am letzten Sonntag habe ich sie vertragen, mehr als vertragen.
     
    –
     
     

85 31.3.
     
    M. unglücklich über mein unmögliches Verhalten gestern , sie sagt: Wenn du Kinder von unsern Freunden nicht mehr verträgst, so können wir gleich ins Altersheim ziehen. Kurzdarauf unterläuft mir ein schwerer Fahrfehler, Nebenstrasse bei Rotlicht überquert.
     
    –
     
     

86 31.3.
     
    Mit U. und E. Johnson bei einem Freund von ihm in Ost-Berlin. Manfred Bierwisch, Linguist, mit Gefährtin . Einer von denen, die nicht in Gnade sind, nur sehr fähig; in seiner Arbeit behindert durch das Ausbleiben von Privilegien.
     
    […]

88 8.4.
     
    Vorallem Nachlassen des Kurzzeitgedächtnisses. Die permanente Unsicherheit infolgedessen; ich habe neulich oder sogar gestern etwas gelesen, das Gespräch kommt darauf, und es fehlen mir Daten, Namen etc., sogar die Erinnerung an meinen Gedanken dazu; ich weiss im Augenblick nur, dass ich es gelesen habe. Die Angst auch, dass man, was man im Augenblick sagen möchte, früher schon gesagt hat. Oder die andern sagen: Neulich haben Sie gesagt. Und ich kann mich nicht daran erinnern; ich habe es zu glauben, auch wenn es eine Unterstellung ist, mein Gedächtnis kann es weder bestätigen noch widerlegen. Mein Gedächtnis kann nichts verbürgen; man wird sich selber unglaubwürdig und tut besser daran, zu schweigen. Nachher weiss ich aber nicht einmal, was ich verschwiegen habe; es entfällt mir noch leichter als das Gehörte, das Geschaute. Übrigens hält sich das Geschaute (ein Strassenbild, die Einrichtung einer Wohnung, die Landschaft) besser im Gedächtnis als das Gedachte, das sich oft schon von einem Satz zum nächsten verliert. Man weiss nicht, was man hat sagen wollen. Das tritt immer häufiger ein. Beim Schreiben kann man wenigstens nachsehen, was man vorher gesagt hat; aber das verrät auch nicht immer, was man hat sagen wollen. Wie wenn man mit Kreide auf ein nasses Glas schreibt .

89 11.4.
     
    Ost-Berlin, Verlag Volk und Welt, nochmals wegen TAGEBUCH-Auswahl. Der Nachwortverfasser: Hermann Kähler (schrieb schon das Nachwort zu Gantenbein) dankbar, dass er zugezogen wird, ein schüchterner und wachsamer und von seiner Funktion etwas bedrängter Mann, sehr respektvoll, man hat ihm den schwarzen Peter zugespielt, jedermann (sogar ich) weiss, welche Formulierungen in der Büchner-Rede (und schon in der Rede zur Frankfurter Buchmesse) anstössig sind. Ich muss schon insistieren, damit in diesem Kreis (Küchler, Simon, der junge Schlesinger, der die Auswahl gemacht hat) die Differenz unsrer Standpunkte evident wird; Kähler getraut sich nicht so recht zu sagen, was an meinem Text reaktionär ist, findet ihn nicht falsch, nur missverständlich usw., eine andere Rede wäre ihm lieber. Die Lektoren, meine ich jetzt zu wissen, möchten den fraglichen Text sehr, und sei es auch nur, um den Spielraum für Publikation hier abzutasten; sie diskutieren mit Kähler in der Art, die gelernt sein will: unter Vorgabe des ideologischen Einverständnisses ganz und gar, dies nicht heuchlerisch, sie sind ja keine Konterrevolutionäre, nur eben keine Funktionäre. Also keine scholastische Marxismus-Diskussion, kein Satz, so dass gesagt werden könnte: Ach, Kollege, so denken Sie also! nur eben das eine und andere Argument zur Praxis. Kähler sagt nicht: Das geht nicht. Er gibt zu bedenken, dass sicher andere Leute finden, zu Unrecht finden, das hätte nicht publiziert werden dürfen. Und Herr Küchler, Cheflektor, scheint erleichtert zu sein. Ohne feige (was heisst das unter den gegebenen Umständen) zu sein, verhält sich jedermann so, dass er sich, wenn der Entscheid 90 anders als erwünscht ausfällt, nicht verrannt hat. Mein Argument: das Nachwort kann ja Stellung nehmen zu den Irrtümern des Autors, den Leser impfen. (Dazu sind diese Nachwörter ja da.) Roland

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