Aus dem Berliner Journal
und so weiter, dann wieder einmal der bekannte Fehlanruf: VERBAND DER KLEINGÄRTNER, das bin ich nicht. Was weiter? Zeit für Fernsehen; heute Debatte im Bundestag über den Grundvertrag, Rücktritt von Barzel ; der fehlt, F. J. Strauss repetiert noch einmal alle bekannten Argumente der Opposition und beruft sich nicht zum ersten Mal auf die NZZ, die neutrale Seherin; Bundeskanzler Brandt berichtigt kurz und entschieden. Vorher Besuch von Günter Kunert hier; der eine und andere darf also. Wodurch erwirbt man sich diese Vertrauenswürdigkeit dadrüben? Eindruck von Kunert: ein Poet, alles andere als ein Agitator, auch kein Polemiker, das politische Interesse ist nicht zentral bei ihm, ein natürlicher Antifaschist. Unser zweites Gespräch schon ungezwungen (ohne Jovialität); es scheint wirklich nicht seine Art zu sein, Fragen zu stellen. Also erkunde ich weiter: über Bodenrecht dort, Kunert hat ein Haus gekauft, über Erbrecht usw. Ob sie dort unter Kollegen das literarische Werkgespräch haben, was wir (wenigstens in meinem Bezirk) kaum haben; das 125 Macher-Gespräch. Er vermisst es offenbar nicht. Über seine Erfahrung mit Brecht; sie war offenbar doch eher flüchtig, obschon seine Lyrik ohne Brecht nicht zu denken ist. Über das Leben in Rom; Kunert hat im Sinn, einmal ein halbes Jahr in Rom zu wohnen, wo er schon auf kurzem Besuch gewesen ist. Ein DDR-Bürger also, der nicht im Gehege gehalten wird wie andere. Auch nach Austin, Texas, gedenkt er später wieder einmal zu gehen; gewiss hängt es immer von der Behörde ab, Bewilligung. Im Stillen versuche ich mir vorzustellen, wie einer, Bürger des gleichen Staates, zum andern sagt: Ich darf nicht reisen, wieso du? Vielleicht sagt man es dann auch nicht; man gönnt es dem andern. Und dieser andere braucht nicht befangen zu sein; er wünscht es ja auch allen andern. Kunert plant ein Buch, für das er in der Kennedy-Bibliothek recherchieren muss; das versteht die Behörde in seinem Fall. Macht es mein Alter, dass er über fast drei Stunden nichts fragt; ohne sich anderseits mit einem eignen Thema aufzudrängen. Dabei nicht spröde, aber auch nicht unkontrolliert, was unserem Gespräch zu gut kommt; ich bin dann auch kontrollierter, glaube ich, und es kommt Lust an der mündlichen Formulierung. Ein Vorteil dazu: zwischen uns liegt kein Stoff für ausweichenden Klatsch, wir müssen schon zu einem Thema sprechen. Er geht auf Themen auch ein, witzelt sie nicht weg oder überrollt sie mit Anekdoten. Übermorgen will er sich nochmals melden; was mir recht ist. Wir danken einander für das Gespräch. Abends nochmals Fernsehen, Fortsetzung der Debatte im Bundestag, Kommentare zu Barzel, später Fussball : die deutsche Mannschaft, die sehr gut ist, verliert gegen Jugoslawien. Kommentare dazu erinnern mich an meinen Verleger, wenn er beim Schach einmal in Be 126 drängnis kommt. Wenn Deutsche nicht siegen, geben sie zu, dass sie Pech hatten und der Gegner viel Glück; was im umgekehrten Fall ganz anders ist. Sendeschluss kurz nach Mitternacht. Wieder ein Tag, ein gewesener Tag.
[…]
129 13.5.
Dritter Anlauf zu der Erzählung aus dem Tessin (REGEN); es müsste doch möglich sein, ein Tal zu erzählen, »wo man gelebt hat«, Abgang ins Präteritum.
130 15.5.
M. macht mir einen schönen und leichten Geburtstag.
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135 21.5.
Berliner Sonntage mit Familien-Ausflug (gestern Familie Grass mit Günther S. dazu ) in Gartenwirtschaften am Wasser, Bauernfrühstück, Wald mit Sand, Hunde, ein Fussball, Idyll mit Pils, Sonntäglichkeit, Ehe-Ruine.
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Wir haben noch zehn Tage hier, noch allerlei vor; dagegen keine Ahnung, was ich in Zürich oder Berzona vorhabe. Ich rufe Jörg an. Man braucht jemand, der sich auf ein Wiedersehen freut, der’s sagt. Frau P., die Sekretärin, schreibt ebenfalls, sie freue sich . Und Jürg Federspiel hat zum Geburtstag gekabelt: do not forget to come back. Was will man mehr.
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Versuche mit Radierung . Ermuntert durch Grass, dessen Kinder sich in der freundlichen Werkstatt auch versuchen dürfen, während er mit Ernst an seinen Platten strichelt. Was bei mir herauskommt: Erinnerung daran, dass ich einmal gerne gezeichnet habe. Schwierigkeit mit dem Verfahren, Kaltnadel, dazu die Spiegelverkehrtheit beim Abzug. Und sofort möchte ich zeichnen, was zu schreiben mir nicht gelingt; kindlich im Strich, halbkindlich, im Anspruch sofort literarisch, kopflastig. Was Dilettantismus entlarvt; der beste
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