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Aus dem Berliner Journal

Aus dem Berliner Journal

Titel: Aus dem Berliner Journal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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meinem Hirn nicht mehr viel übrig , vom Gedächtnis, von der Person –
     
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    Es wäre noch einiges zu sagen, o ja, sogar viel, aber es müsste sehr genau gesagt sein und einfach, d.   h. ohne literarische Ambition; Flaschenpost.
     
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    155 […]

156 Berlin, 1974
     
    (Rekapituliert.)
     
    Wir sind am 10.12. nach Berlin gekommen. Noch Arbeit am DIENSTBÜCHLEIN . Zu Weihnacht-Neujahr lade ich ein: Steiner, Bichsel, Federspiel, Leber . Sie kommen am zweiten Weihnachtstag (ausser Jörg St.) und bleiben bis Neujahr, Besuch in DDR-Berlin; alles in allem wenig ergiebig, sie mögen das EXIL (Ossi Wiener) und kommen aus Suff/Kater kaum heraus, ich bin aber froh, dass Freunde da sind, Geselliges. Wie geht es Marianne? Arbeit an der Rede für den Schiller-Preis in Zürich, Thema HEIMAT. M. schenkt mir zu Weihnacht eine Schreibtisch-Kopiermaschine, grossartig, ich kopiere und kopiere. Was?
     
    Januar (12.) in Zürich wegen Preisverleihung. Rede richtig. Effekt positiv-negativ. Städtisches Abendessen im Muraltengut. Kurzdarauf wieder nach Berlin.
     
    KLIMA, im Herbst daraus vorgelesen in der Berliner Akademie , zusammen mit Koeppen, Höllerer, (Tumler) ; ich fühle mich in dem Text nur halbwohl, gebe die Sache auf. Jetzt im Januar, dank Kopiermaschine, nehme ich’s wieder auf; neue Version, und ich meine, die Sache funktioniert jetzt. Zuversicht; Veröffentlichung im Herbst. Daneben Korrekturen am DIENSTBÜCHLEIN.
     
    Der Plan, dass wir im April nach New York gehen, Veröffentlichung des SKETCHBOOKS als Anlass .
     
    […]
     
    157 Freunde in der DDR: Ihr habt es gut, Ihr könnt vom kapitalistischen Ausland reden. Wir können nicht vom sozialistischen Ausland reden. Denn das gibt es nicht. Was in den Ländern, die sich die sozialistischen nennen, zur Zeit zu sehen ist: Bürokratismus mit sozialistischer Phraseologie, Staatskapitalismus ohne die mindeste Mitbestimmung von der Basis her –
     
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161 Berlin, Februar 74
     
    Abend mit Kunert bei Johnsons, Abend mit Christa und Gerhard Wolf ebenda. Kunert irritiert-verhalten. Weicht aus. Hilflos durch Johnsons Art des Ausdrucks: oft Anspielungen, die der andere kaum entziffern kann, Kreuzworträtselei mit scharfem Ernst und Verhör-Charakter trotz Humor (was er dann dafür hält) mit richterlichem Rigorismus, sobald es um die DDR geht, und darum geht es für ihn. Er verzeiht es nicht. Was? Christa Wolf und ihr Mann sehr offen, locker, wach, differenziert in der Antwort, nicht ausweichend und nicht rechthaberisch, unfanatisch. Als ich dazu komme (um 20.30, am 26.2.), hat Uwe schon ziemlich getrunken; Rötung des Kopfes, dann unterbricht er jeden oder hält, wenn der andere spricht, sofort die Hand auf: Wortmeldung, als komme er nicht zu Wort. Thema DDR, was sonst. Als er die widerliche DDR-Schnulze vom Jugend-Festival abspielen will, weigere ich mich: Bitte nein. Zu wessen Freude, zu wessen Aufklärung? Als hätten die beiden Wolfs dafür einzustehen: wie ein Schweizer für Jodler. Es ist ärgerlich. Die Kritik, die die beiden DDR-Bürger aussprechen, ist fundamental, Kritik an der usurpatorischen Macht ihrer Regierung. Wofür will Uwe sie strafen? Er kommt nicht darüber hinweg, dass er und Elisabeth die DDR verlassen haben, dass andere es nicht tun und nicht zu tun gedenken. Etwas wie schlechtes Gewissen; er verlangt von den andern ein schlechtes Gewissen. So scheint es zuweilen. Trauma. Dabei begegnen sie ihm mit keinerlei Vorwurf. Sein Trend zum Apodiktischen, sein Trend zum moralischen Rigorismus. Elisabeth, obschon lächelnd, sekundiert; ihr verschärfendes Lächeln. Eine Art von Heimweh-Hass. Ich wundere mich, wie un 162 beleidigt Christa Wolf reagiert, dabei doch persönlich in der Darstellung ihrer Not. Ohne Rechthaberei, wie gesagt; nur hat sie Erfahrung, der seine Argumentation oft nicht standhält. Zeitweise hat man den Eindruck, er beneide sie um ihr Schicksal. Auch wenn er mich zu Wort kommen liesse, hätte ich wenig zu sagen; ich höre aber zu. Was will er eigentlich? – das schlechte Gewissen derer, die in der DDR leben und das Übel, das sie erkennen, unter Opfern bekämpfen? Es hat mit schlechtem Gewissen zu tun, aber mit seinem, so fürchte ich, ohne es ihm sagen zu können. Wir verabschieden uns herzlich. Auch die beiden Wolfs verabschieden sich herzlich, unbeleidigt, wenn auch betrübt vielleicht über ihre beiden Landsleute hier.
     
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    163 […]
     
    Viel Schlafen (mit Träumen), Flucht in die Müdigkeit; ich weiss nicht,

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