Aus dem Berliner Journal
Steckbrief auf die Person. Es lockt mich aber, weitere Platten zu bekratzen.
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Es wird sommerlich, Friedenau grün, dadurch noch kleinbürgerlicher. Berlin ohne seinen nordischen Himmel und 136 seine heitere Kälte, ein lindes und laubiges Berlin: was für mich nicht Berlin ist.
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Es wächst sich an Berzona heran, wo ich kein Bedürfnis habe mich aufzuhalten; wir werden dort unser Haus besuchen, als schulden wir ihm das.
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Visum für Moskau nicht eingetroffen , Fotos eingeschickt, seither kein Zeichen mehr.
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Es drängt mich gar nicht, trotzdem gerät man in die Rolle des freundschaftlichen Eheberaters. (Meine Qualifikation dafür: drei vollstreckte Trennungen, die zu erzählen ich kein Bedürfnis habe.) Vier Menschen, aber kein Modell; sie verbrauchen zu viel Zeit, jetzt schon zwei Jahre, der Verschleiss nach allen Seiten. Und wieder: Die Kinder! die Verantwortung für die Kinder. Was dazu sagen? Ich meine es nicht als Rat, nur als Erwägung so und so, Planspiele, die diese oder jene Seite erschrecken; die Angst vor Trennung, während sie schon stattgefunden hat, als eine Art uneingestandener Angst vor den neuen Verhältnissen. Die grosse Brutalität, ohne die eine Trennung offenbar nicht möglich ist, verzettelt in kleine Brutalitäten hin und her; die Erosion der Gemeinsamkeit, nicht aufzuhalten durch so viel guten Willen von beiden Seiten. Schade für alle. So unhygienisch. Es ist schade um die Menschen.
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137 Ein sehr junger Regisseur, der die CHINESISCHE MAUER inszenieren soll . Warum dieses Stück? Dass ich es selber überholt finde, hat er nicht erwartet; er will sich denn auch durch seine Inszenierung davon distanzieren. Ich bitte darum.
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Anrufe von Günter Kunert und von Christa Wolf und von Jurek Becker.
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Wenn man nicht genau weiss, was einen beschäftigt. Für Augenblicke erscheint es fast greifbar. Wenn man nicht daneben greifen würde immer wieder.
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148 27.5.
Gestern Abend bei Kunert in Buch-Berlin. Haus im Ländlichen, alles noch im Umbau; es wird geräumig und nicht anonym. Der Abend widerlegt meine Notizen vom Tag davor. Zu Anfang eine kurze Analyse der Veranstaltung im Schriftstellerverband (Kunert fand das Publikum sehr befangen, schwierig, die Diskussion verwaschen; ein Vorleser aus dem Westen ist nicht geheuer, auch wenn man seine Bücher schon kennt), dann Gespräch über Literatur, über Rom etc., der erste lange Abend ohne DDR-Thema. Kunert bedient den Gast auch nicht mit jenem Alibi-Witz, der vorgibt, man sei der Regierung gegenüber kritisch und nehme da kein Blatt vors Maul; Kunert hat’s nicht nötig, kein Opportunist offenbar. Weder kommt in seiner Rede irgendeine Beschwerde noch eine Huldigung an den Staat, und über Erlebnisse in London oder anderswo spricht er wie eben ein unabhängiger Kopf, einer mit grossen Augen und mit der Sensibilität eines Poeten, der viel weiss, vieles liebt. Alle vier beschwärmen wieder einmal Italien, auch Kunert und seine Marianne ohne eine Spur von Ressentiment gegenüber dem eignen Land. Wir leben nicht in Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume nicht möglich wäre , vorausgesetzt dass man Bäume erlebt.
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M. wie jeder Partner, der viele Jahre mit einem Partner lebt und fast alle Tage des Jahres, muss oft anhören, was sie schon kennt; kein Wunder, dass man sich häufig ins Wort fällt und selber gereizt wird, wenn der andere es ebenfalls tut. Sobald ich etwas erzähle, was M. auch noch nicht weiss, hört sie natürlich zu; nur scheint mein Vorrat 149 manchmal erschöpft, und das macht mich schon selbst nervös. Zeitweise ist es unmöglich, aus diesen Fertig-Geschichtchen herauszuspringen, und plötzlich kommt es doch einmal dazu: irgendwo in der Türkei vor vierzig Jahren liegt noch ein bisschen unverbrauchte Erinnerung, Gott sei bedankt. Anderes hingegen, was mit einer früheren Frau zu tun hat, bleibt versiegelt, nicht weil es für die Fremden zu intim wäre, jedoch irritierend für den Partner, den man jetzt liebt und langweilt, indem man ihn kaum je überrascht. Dasselbe Phänomen beim andern Paar: Erzähl du das! und dann korrigiert man sich in Daten, Ortsnamen etc. bis zur Einigung auf ein Communiqué.
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Kunert ist Parteimitglied .
150 Verurteilung oder Nachsicht; wie sehr es von meinem eignen Befinden abhängt, heute so und morgen anders, und es ist derselbe Mensch, dieselbe Handlung, derselbe Ausspruch. Als
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