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Aus dem Berliner Journal

Aus dem Berliner Journal

Titel: Aus dem Berliner Journal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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was arbeiten. Langeweile rundum. Frühling. Ich gehe um den Schlachtensee: ohne einen einzigen Gedanken, nicht einmal Denken an etwas, kein Gefühl, ohne Echo auf alles, was ich sehe, ohne Echo auf genaue Erinnerungen in dieser Gegend, ohne Verlangen anderswo zu sein.
     
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    164 Die junge Frau im Suff, die einmal sagte: Sie überschätzen ihn, er redet und tut alles nur aus Eitelkeit, ich kenne ihn. – In letzter Zeit hat er auch für solche, die ihn zum ersten Mal treffen, an Ausstrahlung eingebüsst, wirkt nicht müde, aber glanzlos. Sein Geltungsdrang ist immer bestimmend gewesen fast in jedem Gespräch (Wahl des Themas), das hatte mehr Witz, mehr Verve. Geblieben ist die stete Selbstbehauptung. Eigentlich wenig Fantasie. Etwas bosshaft-gesetzt, behäbig, nüchtern-tätig. Als Person etwas langweilig; interessant durch seine Informiertheit, nicht durch Einfälle im Moment. Auf die Dauer erscheint er ziemlich primitiv. Umgängig, doch nicht generös; er muss immerzu der Sichere sein. Er zeigt nicht, dass ihm etwas missraten ist; er sieht es auch gar nicht. Seine Art, die Ellbogen zu brauchen, ist gewandter als früher. Seine Eitelkeit ist treuherzig, fast bieder. Es ist nicht schwierig, der Umgang mit ihm fast selbstverständlich, nur etwas eng im Spielraum, da er seiner Rolle gegenüber ohne Ironie zu sein scheint –
     
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165 März.
     
    Viel zu viel Menschen, Gesellschaft, Ansprüche, die ich nicht ganz erfülle. Die Rolle.
     
    KLIMA (Erzählung) an den Verlag geschickt, dann in Frankfurt (6.3.) zum Geburtstag von Helene Ritzerfeld , Lektorat-Gespräche mit Unseld und Elisabeth Borchers freundlich. Es ist, glaube ich, schwierig für sie. Termine und alles vereinbart. Zwei Tage später, wieder in Berlin, ziehe ich das Manuskript zurück. Ich habe kein Urteil mehr.
     
    Besuche von der Familie Oellers.
     
    Ich falle mir schwer, dafür können die andern nichts, kaum eine Nacht ohne Träume, die alles zerreissen, darunter viel Sex; mehr als Tod; die Erektion bei Erstickenden.

166 16.3.
     
    Gestern schönes Geburtstagsfest für M. in unsrer Wohnung. Gute Leute. Freundschaften in festlichem Einsatz. Meine Butler-Rolle (eine gute Flucht) und Tanz. Einmal, als ich noch kaum etwas getrunken habe, in einer Ecke mit Uwe und Elisabeth Johnson; sie sagen: Herr Frisch (was bei ihnen eine Formel der Intimität ist), wir haben den Eindruck, Sie leben nicht mehr lang. Meinerseits keine Rückfrage, warum sie den Eindruck haben; eine stille Erleichterung, die nicht überspielt werden muss. Es bleibt unter uns.
     
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169 25.3.
     
    Heute Flugschein nach NY geholt. Geld für Eventualitäten dort. Reisefieber ins Sinnlose. Es beginnt mit einer Ehrenrunde ( Harcourt Brace , Academy of Arts and Letters ), dann ein paar Lesungen (NY, Boston, Toronto, Montreal etc.) . – Der innere Geschmack von damals, 1951, die sehr verschiedenartigen Aufenthalte , Theater, 1962, die Geschichte mit M. in Amerika-Stationen, Glück, Aufbruch, 1970, 1971, der letzte Aufenthalt 1972; deswegen keine Bitterkeit aufkommen lassen an Ort und Stelle   – dies als Vorsatz, aber es wird nicht ganz leicht sein. Oder ganz leicht? nämlich gleichgültig. Keine Ahnung, wie weit weg diese Reise allein mich führt; wahrscheinlich ist es die letzte NY-Reise.
     
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    […]
     
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    Mit M. beim Einkaufen für mich: Hosen, Hemden, ein Regenmantel, Socken etc., damit ich in NY anständig dastehe. Was denkt sich die junge (schwangere) Verkäuferin, die sehr liebenswürdig und hilfreich ist, über unsere Beziehung? Meine Hast vor dem Spiegel; der zeigt mir meine groteske Unzumutbarkeit für M. Dieser verfettete Alte, der ich bin! Und eine halbe Stunde später habe ich es fast vergessen: Wind, eine übermütige Luft, das Licht, Augenblicke leichten Wohlbefindens.
     
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171 Anhang

Max Frisch am Schreibtisch in seiner Berliner Wohnung, um 1973. © Renate von Mangoldt

Max Frisch auf dem Balkon seiner Wohnung in der Berliner Sarrazinstraße, um 1973. © Renate von Mangoldt







Faksimiles einiger Einträge aus Heft 1 des Berliner Journals

199 Herausgeberbericht
Beschaffenheit des Konvoluts
     
    Der Safe mit den versiegelten Nachlassbeständen von Max Frisch enthielt eine Archivschachtel aus Karton (versiegelt am 15. 9. 1980), auf der Frisch handschriftlich vermerkt hat:
    BERLIN-JOURNAL
    1973-1980
    SPERRFRIST: ZWANZIG JAHRE
    Max Frisch
    31. 3. 1980
    Rechts oben auf der Schachtel findet sich ein Aufkleber mit dem

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