Aus Dem Dunkel
sich auf seiner Stirn, und das T-Shirt klebte ihm am Rücken. Er wollte sich keine weiteren Fotos mehr ansehen.
Mallory sah ihn von der Seite an. Sie rutschte auf der Couch ein Stück näher zu ihm hin. »Möchtest du mal sehen, wie ich mit zehn ausgesehen hab?«, fragte sie.
Die Kleine war gut. Gabe schenkte ihr ein schiefes Lächeln und ließ es zu, dass seine Aufmerksamkeit wieder auf das Album gelenkt wurde. Mallory deutete auf ein Mädchen in einem granatroten Kleid, es hatte Schleierkraut ins kastanienfarbene Haar geflochten und sah den Betrachter aus großen, funkelnden grünen Augen an.
Gabe rang nach Atem. »Hübsch«, sagte er. »Deine Haarfarbe gefällt mir.«
Mallory verzog das Gesicht. »Das wäscht sich wieder raus.« Als sie sich eine Strähne ihres gefärbten Haars hinter ihr linkes Ohr strich, bemerkte Gabe, dass der gesamte Bogen ihrer zarten Ohrmuschel gepierct wahr.
»Weiß Mom, dass du dir so viele Löcher ins Ohr hast stechen lassen?«, fragte er und erschrak selbst ein wenig darüber, dass er Helen Mom nannte.
Mit einer schnellen Kopfbewegung ließ Mallory ihr Haar über die brisante Stelle fallen. »Ja«, erwiderte sie zurückhaltend. »Es ist nur mein linkes Ohr. Ich habe es vor einem Monat machen lassen«, fügte sie trotzig hinzu.
»Und warum?«, fragte er verständnislos. Es ergab für ihn keinen Sinn, besonders, da sie gar keine Ohrstecker trug.
Sie machte ein mürrisches Gesicht. »Keine Ahnung. Meine Freunde haben mich dazu überredet, schätze ich.«
»Was hat Mom dazu gesagt?« Er fand irgendwie Gefallen daran, Helen Mom zu nennen. Es verlieh ihrer Beziehung etwas Beständiges, Unwiderrufliches.
Mallory verzog genervt das Gesicht, was ziemlich lustig aussah. »Sie ist vollkommen ausgerastet. Deswegen hab ich auch keine Stecker drin. Ich muss die Löcher zuwachsen lassen.«
Am liebsten hätte er Helen die Hand geschüttelt, so dankbar war er ihr. »Also hast du das alles völlig umsonst durchgestanden«, stellte er fest.
Sie zuckte nur mit den Schultern.
Ihr Schweigen verärgerte ihn. »Tust du immer, was deine Freunde dir sagen?«, fragte er, um sie zu irgendeiner Reaktion zu bewegen.
»Nein.«
Er wartete, weil er spürte, dass da noch etwas kommen würde.
»Ich habe es noch aus einem anderen Grund getan«, gestand sie schließlich.
»Und der wäre?«
Mehrere Sekunden verstrichen, während Mallory mit leerem Blick auf die Bilder starrte. Dann stieß sie plötzlich das Fotoalbum von ihrem Schoß, stürmte aus dem Zimmer und ließ Gabe mit noch mehr Fragen zurück, als ihn ohnehin schon quälten.
Er war bestimmt kein Fachmann in Kinderpsychologie, aber ein halbes Dutzend Löcher in einem Ohr waren mit Sicherheit ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Wenn man berücksichtigte, dass Helen ihm vorgeworfen hatte, er habe seine Stieftochter stets ignoriert, musste er davon ausgehen, dass er mit für Mallorys Verhalten verantwortlich war. Selbst, wenn diese zu dem Zeitpunkt, als sie die Piercings hatte stechen lassen, in dem Glauben gewesen war, er wäre tot. Hätte sie es auch dann getan, wenn er ihr vor seinem Aufbruch zu seinem letzten Einsatz ein besserer Vater gewesen wäre?
Leise fluchend rieb er sich die Augen. Himmel, war er müde! Die Hürden auf dem Weg in seine Zukunft schienen größer zu sein als alle, denen er sich in der Vergangenheit je hatte stellen müssen – und das sollte etwas heißen, denn er war in der sogenannten Hell Week, der härtesten Woche in der Ausbildung zum SEAL , bereits sprichwörtlich durch die Hölle gegangen. Damals, während seines Trainings, hatte er genug Energie besessen, um durchzustehen, was auch immer von ihm verlangt wurde. Natürlich war er damals auch jünger gewesen. Im Moment fühlte er sich, als wäre er eine Million Jahre alt.
Mit halb geschlossenen Lidern betrachtete er seine Umgebung. Das Arbeitszimmer war im kleinsten Raum des Hauses untergebracht worden. Das Sofa in Burgunderrot und Grün, ein wenig durchgesessen, aber weich, diente derzeit als sein Bett. Die Bücherregale und der dazu passende Schreibtisch waren aus Mahagoni gefertigt. Elegante Volants umrahmten das Fenster. Im Vergleich zu dem, was er vermutlich hinter sich gebracht hatte, war es ein Paradies. Er hatte wirklich keinen Grund, sich zu beschweren.
Sein Blick streifte das Fotoalbum, das immer noch offen neben ihm lag, so, wie Mallory es zurückgelassen hatte. Er betrachtete die Bilder und versuchte, Abstand zu ihnen zu wahren.
Da war er, einen Kopf
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