Aus Dem Dunkel
Welt unentbehrlichster Vater zu sein, schien durchaus auch seine Vorteile zu haben.
»Kann ich den Rest des Kapitels vorlesen?«, fragte Mallory und griff nach dem Buch.
»Ja, sicher.«
Sie hatte angebissen.
Für einen Moment bedauerte er es, dass sie nun ein Stück von ihm fortrückte. Aber ihre schnelle Art zu sprechen und ihre trällernde Stimme erinnerten ihn daran, wie intelligent sie war. Es verblüffte ihn, wie stolz sie ihn machte. Sie war nicht einmal sein eigenes Kind – leiblich ohnehin nicht, so gerade eben durch Heirat – , aber verdammt, war sie klug.
Irgendwann bemerkte er, dass Helen ihnen vom Flur aus zuhörte. Nur ein Schatten und der Duft von Blumen verrieten ihre Anwesenheit. Unvermittelt folgte Gabe nicht mehr so sehr der Geschichte, sondern fragte sich, warum Helen sich draußen vor der Tür versteckte.
Schließlich war das Kapitel zu Ende. »Cool«, stellte Mallory fest. »Lass uns morgen weiterlesen.«
Das war Helens Stichwort, um in den Raum gestürmt zu kommen. Sie trug seidige weiße Boxershorts mit einem passenden Pyjamaoberteil. Ihr Haar wurde von einem Turban verdeckt, den sie aus einem Handtuch geschlungen hatte. Und ihr Hals sah umwerfend schlank und zart aus. Gabe befiel ein unglaubliches Verlangen, sie dort zu küssen.
»Ich gehe jetzt ins Bett«, verkündete Helen mit gespielter Fröhlichkeit. »Mal, du musst noch duschen.« Sie steckte den Kopf in die Kissenhöhle auf dem unteren Bett und gab ihrer Tochter einen Kuss. Aufgrund des Turbans musste sie sich sehr tief bücken, um sich nicht den Kopf zu stoßen, sodass sich ihr Pyjamatop öffnete, und Gabe einen Blick auf ihre wohlgeformten vollen Brüste erhaschen konnte.
Herr im Himmel. Er musste sich arg zusammenreißen, Helen nicht einfach zu packen und an sich zu ziehen.
Sie küsste ihre Tochter auf die Wange, dann wandte sie ihm den Kopf zu – wahrscheinlich aus Gewohnheit – und erstarrte.
Doch er ließ ihr keine Gelegenheit, es sich anders zu überlegen. Aus einem Impuls heraus küsste er sie mitten auf den Mund. Überraschung blitzte in ihren Augen auf, und für den Bruchteil einer Sekunde starrten sie einander an.
Eine Erinnerung nahm Gestalt an. Er entsann sich, mit der gleichen Intensität jenes Moments, wie er in sie eingedrungen war, machte aber diesmal den Fehler, ihr in die Augen zu sehen. Die Panik kam aus dem Nichts, übermannte ihn, stürzte ihn in seelische Abgründe. Es gab nur noch Emotionen. Er erinnerte sich daran, wie er die Augen zugekniffen hatte, um jegliches Gefühl zu verdrängen. Liebe war gefährlich. Sie konnte ihn zögern lassen, bevor er den Abzug drückte, nachdenken lassen, bevor er aus einem Flugzeug sprang. Als SEAL durfte er keine Gefühle haben.
Erschrocken zuckte Gabe zurück.
Helen starrte ihn vollkommen perplex an.
Durch seine Erinnerungen erschüttert, sprang Gabe aus dem Bett und verließ den Raum. Er ging direkt zur Haustür, denn er brauchte frische Luft, um einen klaren Kopf zu bekommen.
Zuerst lief er nur auf der Veranda auf und ab und sog tief die salzige Meeresluft ein. Als er dem Verlauf der Terrasse schließlich um die Hausecke folgte, sah er, dass der Halbmond sein silbriges Licht wie ein Laken über den Ozean warf. Er stützte sich auf das Geländer der Veranda und spürte, wie rau es war. Es musste unbedingt abgeschliffen werden.
Als sich sein Herzschlag nach einiger Zeit wieder normalisiert hatte, gestattete er es sich, den Moment aus seiner Erinnerung ein zweites Mal zu durchleben. Er war dankbar dafür, trotz der verstörenden Gefühle, die damit einhergingen. Der Flashback bewies, was er bereits gespürt hatte – dass er zu Helen gehörte, dass ihre Liebesnacht so unglaublich gewesen war, wie er sie sich vorgestellt hatte. So unglaublich, dass ihn die Erinnerung daran zu Tode erschreckt hatte.
Er schloss die Augen und durchlebte noch einmal das Vergnügen, sie zu lieben, jeden Zentimeter ihres Körpers regelrecht zu verschlingen und jede ihrer Reaktionen auszukosten. Für eine Weile kämpfte sie darum, ihn auf Distanz zu halten, und widerstand seinem Ruf nach Hingabe. Aber Gabe gab nicht auf, bis sie sich ihm schließlich öffnete. Er wirkte ihrer Selbstbeherrschung entgegen, leckte, streichelte sie und erkundete jede Stelle ihres Körpers, bis sie sich in seinen Armen wand und ihre Kapitulation hinausschrie.
Gabe war überrascht darüber, Tränen auf ihren Wangen zu spüren. Jäh hielt er inne und suchte ihren Blick, um herauszufinden, warum sie
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