Aus Dem Dunkel
sie einen empörten Laut von sich gab. Er trug sie in die Küche, ohne sich darum zu kümmern, dass das Fliegengitter hinter ihm zuknallte. Dann marschierte er ins Wohnzimmer, legte Helen vorsichtig auf die Couch und schaltete die Lampe auf dem kleinen Beistelltisch daneben ein.
Geblendet zuckte Helen zusammen. Ihre Kehle schmerzte, als hätte sie eine heftige Mandelentzündung. Aber wenigstens bekam sie jetzt wieder Luft. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Luftröhre groß verletzt war, höchstens ein wenig gequetscht. Als Gabe sich auf den Rand der Couch setzte, rollte sie sich unwillkürlich zusammen und legte eine Hand schützend über ihre Kehle.
»Ich tue dir nichts«, sagte er sofort, als er ihre Reaktion bemerkte. »Scheiße!« Er sprang auf und begann, auf und ab zu laufen.
Helen konzentrierte sich darauf, den Schmerz zu verdrängen. Sie wusste, dass sie in ein, zwei Tagen wieder okay sein würde. Sie war nicht wegen der Verletzung so geschockt, sondern weil ihr eigener Mann sie angegriffen hatte. Obwohl er darauf trainiert war, mit seinen bloßen Händen zu töten, hatte Gabe sich in ihrem Beisein niemals zuvor gewalttätig gezeigt. Doch Helen war durch das gerade Erlebte aufgerüttelt worden. Gabe könnte sie in Sekundenschnelle töten. Erneut fragte sie sich, ob ihn das Jahr in Gefangenschaft zu einer Gefahr gemacht hatte.
Er tauchte wieder neben der Couch auf, sein Gesicht war unnatürlich blass. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt. »Ich bringe dich ins Krankenhaus«, erklärte er in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.
»Nein, das wirst du nicht tun«, flüsterte Helen. Himmel, es tat wirklich unglaublich weh, zu sprechen. »Denk doch mal nach, Gabe.« Sie versuchte, den unerträglichen Schmerz hinunterzuschlucken. »Was, glaubst du, werden die Ärzte denken?«
Sie konnte ihm ansehen, wie ihm klar wurde, was sie meinte. Er rieb sich die Augen.
Er muss erschöpft sein, dachte sie und verspürte einen Funken Mitgefühl.
Wieder ließ er sich auf den Rand der Couch sinken und bestätigte damit ihre Vermutung. Während er sonst immer eine gerade und aufrechte Körperhaltung besaß, war er nun regelrecht in sich zusammengesunken. Und diesmal berührte er sie nicht, er saß nur da und bedeckte mit den Händen seine Augen.
Helen bemühte sich, stark zu bleiben. Sie konnte sich kein Mitleid mit ihm leisten. Nicht, nachdem sie sich dazu durchgerungen hatte, sich von ihm scheiden zu lassen – wozu sie nun erst recht allen Grund hatte.
»Eis«, sagte er plötzlich und sprang erneut auf.
Sie horchte, wie er in der Küche herumhantierte. Seine Schritte waren immer noch die gleichen – unglaublich leise. Nur weil er den Eiswürfelspender bediente, wusste sie, dass er dort war. Als Helen klar wurde, wie gefährlich diese Eigenschaft eigentlich für sie war, erschauderte sie.
Er kam mit einem Beutel voller Eis und einem Geschirrhandtuch zurück.
»Ich mach das schon«, flüsterte sie und wollte ihm alles aus der Hand nehmen.
Doch er ignorierte sie, wickelte das Geschirrtuch um den Beutel und legte es sanft auf ihre Kehle.
Die Kälte half zunächst. Helen lag absolut unbeweglich da und ließ ihn tun, was er wollte – zumindest für den Moment. Irgendwann aber würde er endgültig aus ihrem Leben verschwunden sein … und dann würde sie selbst ihre Verletzungen kühlen. Das war ein verlockender Gedanke.
»Es ist zu kalt«, flüsterte sie nach einer Weile.
»Nur noch einen Augenblick«, sagte er und beugte sich besorgt über sie.
Sie gab es auf, sich Gedanken darüber zu machen, ob er gefährlich war. Er hatte sie mit jemand anderem verwechselt, genau, wie er es gesagt hatte. Außerdem tat es ihr gut, mal ein wenig von ihm umsorgt zu werden – eigentlich war es sogar ein einzigartiges Erlebnis. Früher hatte Gabe sich niemals so um sie gekümmert.
Aber er hatte schon immer das Talent besessen, andere Leute zu motivieren und zu etwas zu überreden. Darin begründeten sich seine Führungsqualitäten. Und aus diesem Grund war sie auch davon überzeugt gewesen, dass er einen ausgezeichneten Vater abgeben würde – doch dann begann er, seine gesamte Aufmerksamkeit nur noch seinem Team zu widmen. Bis ihre Gefühlswelt zerbrach, ihr Bild von ihm tiefe Risse bekommen hatte wie Schlamm, der zu lange der Sonne ausgesetzt blieb.
»Sprich mit mir«, sagte er, als er den Eisbeutel schließlich von ihrer Kehle nahm. »Kannst du reden?«
Er sah sie so zärtlich an, dass sie darum kämpfen
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