Aus Dem Dunkel
»Gerade dann könnte Ihre Unterstützung Sie schneller ans Ziel bringen. Je früher Gabriel wieder gesund ist, desto eher können Sie ihn auch wieder gehen lassen.«
Seine Worte berührten eine melancholische Seite in ihr. Aber sie ergaben auch durchaus einen Sinn. Natürlich war es ein Risiko, sich darauf einzulassen, aber wenn sie ihre eigenen Pläne dadurch in kürzerer Zeit verwirklichen könnte, sollte sie es vielleicht tun. Außerdem brauchte Gabe ihre Hilfe momentan wirklich. Früher hatte er nie in irgendeiner Weise so verloren gewirkt, wie er es jetzt tat. »Was muss ich tun?«, fragte sie und fügte sich damit bereits in ihr Schicksal.
»Mit ihm reden, zusammen die Fotoalben durchgehen, Spaziergänge machen, Orte besuchen, wo sie schon einmal gemeinsam gewesen sind, sich darauf konzentrieren, wie Dinge riechen. Der Geruchssinn ist oft die Hintertür, durch die das Erinnerungsvermögen zurückkehrt.«
Helen biss sich auf die Unterlippe. All diese Dinge bedeuteten, dass sie Zeit mit Gabe verbringen und sich damit auch seiner Männlichkeit, seiner neu aufflammenden Anziehungskraft auf sie aussetzen musste.
»Ich sehe, dass Sie Ihre Entscheidung getroffen haben, Mrs Renault … Helen«, fügte er freundlich hinzu. »Aber vielleicht entdecken Sie auch, dass Gabe ein ganz anderer Mann geworden ist, als er es früher war. Lebensbedrohliche Erlebnisse verändern Menschen oft. Sollten Sie mit der Zeit jedoch bemerken, dass er sich nicht verändert hat, können Sie ihn zumindest mit reinem Gewissen verlassen, weil Sie ihm geholfen haben.«
Helen hatte das Gefühl, als würde man ihr ein schweres Gewicht von den Schultern nehmen. Genau das war es. Seit Tagen kämpfte sie mit ihren Schuldgefühlen. Die Worte des Arztes zeigten ihr auch den Grund dafür. Sie hatte Gabe nicht die Chance gegeben, die er verdiente.
»Sie haben recht«, erklärte sie und dachte daran, dass Leila völlig ausflippen würde.
Dr. Terrien blickte sie fragend an. »Hat Gabriel jemals mit Ihnen über seine Kindheit gesprochen?«, erkundigte er sich dann völlig überraschend.
Helen legte den Kopf schief. »Er hat mir von seinen Eltern erzählt, die bereits tot sind, allerdings nicht viel. Ich habe immer gespürt, dass er nicht gern über die Vergangenheit redet, deswegen bohre ich auch nicht nach.«
Dr. Terrien schwieg für einen Moment. »Was glauben Sie, worüber denkt ein Mann während eines Jahres der Folter und Isolation nach?«
Es war eine provokative Frage und trotzdem eindeutig rhetorisch gemeint. Aufgewühlt starrte Helen den Mediziner an.
»Fragen Sie ihren Mann doch mal nach seiner Vergangenheit«, empfahl er.
Sie warf ihm einen verwirrten Blick zu. »Er geht damit aber nicht unbedingt offen um.«
»Versuchen Sie es doch trotzdem einmal«, ermutigte sie der Arzt. »Mir gegenüber ist er ziemlich direkt gewesen. Wenn Sie mit Gabe über seine Vergangenheit sprechen, verstehen Sie vielleicht, warum er sich den SEAL s so absolut verschrieben hatte. Warum er Sie ignoriert hat.«
Überrascht von der genauen Einschätzung des Arztes nickte Helen. »Okay«, stimmte sie zu, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, dass Gabe sich ihr in dieser Hinsicht öffnen würde.
»Er geht sehr hart mit sich selbst ins Gericht«, fügte der Psychiater hinzu. »Es wäre hilfreich, wenn Sie ihm verzeihen könnten, was gestern Abend geschehen ist.« Sein Blick fiel noch einmal auf die Quetschung an ihrem Hals.
Unwillkürlich berührte sie selbst die schmerzende Stelle.
»Er hätte sie genauso gut töten können«, gab Dr. Terrien zu und hob seine buschigen Augenbrauen. »Aber er hat es nicht getan. Unterbewusst hat er Sie erkannt, Helen. Ich glaube nicht, dass Sie irgendetwas von ihm zu befürchten haben. Trotzdem ist es besser, sich davon zu überzeugen, dass er wach ist, wenn sie ihn das nächste Mal überraschen«, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu. »Der Traum wird jetzt öfter wiederkehren. Wenn Sie denken, dass sie ihn wecken sollten, dann rufen Sie seinen Namen und sagen Sie ihm, wer Sie sind. Erklären Sie ihm, dass er träumt. Beruhigen Sie ihn, auf welche Weise auch immer.«
Vor ihrem geistigen Auge tauchten plötzlich erotische Bilder auf. Es fiel ihr schwer, dem Blick des Mediziners standzuhalten.
»Unsere Zeit ist um.« Abrupt stand Dr. Terrien auf. Er streckte ihr eine Hand entgegen. »Wir haben gute Fortschritte gemacht«, erklärte er herzlich. »Ich bleibe noch etwas hier und erledige Papierkram. Mit Gabriel spreche
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