Aus Dem Dunkel
zurückkehrt. Er erinnert sich zum Beispiel an seine Gefangenschaft.« Der Arzt macht eine kurze Pause, bevor er fortfuhr. »Und daran, wie er mit Ihnen geschlafen hat.«
Helen wurde rot.
»Er weiß nun, wie hart er in der Vergangenheit daran gearbeitet hat, seine Gefühle unter Kontrolle zu behalten. Er hatte stets die Befürchtung, dass es seine Aufgaben als SEAL negativ beeinflussen könnte, wenn ihm jemand wichtig wäre.«
»Warum erzählen Sie mir das?«, unterbrach ihn Helen. Sie wollte Gabes Beweggründe überhaupt nicht kennen. Sie würden nur ihren mühsam gefassten Entschluss untergraben.
»Ich frage mich, ob Ihnen an Ihrem Mann irgendwelche Veränderungen aufgefallen sind«, erklärte der Arzt mit ernster Miene. »Und wenn ja, in welcher Weise er sich verändert hat.«
Helen holte einmal tief Luft. Sie hatte über all das gerade mit Leila gesprochen, die sie darauf hingewiesen hatte, dass alle Veränderungen zum Positiven wahrscheinlich nur vorübergehend waren. »Wissen Sie, er hat im Moment keinen Job, der ihn ablenkt. Er ist aufmerksamer, und er interessiert sich mehr für Mallory. Ich vermute, dass er einfach zu viel Zeit hat, die er totschlagen muss.« Sie zuckte mit den Schultern, da sie mit ihrer Schlussfolgerung selbst nicht wirklich zufrieden war.
»Er erwähnt Ihre Tochter ziemlich oft«, stimmte ihr Dr. Terrien mit einem Lächeln zu.
In Gedanken verdrehte Helen die Augen. Sie wollte einfach nicht glauben, was Leila ihr gesagt hatte – dass Gabe Mallory nur dazu benutzte, um an sie heranzukommen.
»Und was ist mit Ihnen? Behandelt er Sie anders?«
Helen verschränkte die Finger, während sie darüber nachdachte, was sie antworten sollte. »Er verhält sich wieder mehr so wie damals, als wir uns kennengelernt haben«, gestand sie, »aber auch nicht wirklich. Irgendetwas ist anders an ihm, er handelt überlegter, ist ruhiger, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Der Arzt nickte aufmunternd.
»Er wirkt auf mich … traurig, denke ich. Ich erwische ihn dabei, wie er einfach so in die Luft starrt, und ich frage mich dann, ob er sich gerade an irgendetwas erinnert. Er sucht auch öfter meinen Blick, als er es früher getan hat. Ich weiß, das muss seltsam klingen.« Sie schaute auf ihre Hände und fühlte sich unbehaglich.
»Möchte er irgendetwas von Ihnen?«, wollte der Arzt wissen.
»Was meinen Sie?« Das Erste, was ihr einfiel, war Sex, aber es musste ihr eigenes Unterbewusstsein sein, das ihr gerade einen Streich spielte.
»Ich weiß es nicht. Was glauben Sie denn?«
Sie dachte an Gabes Augen, seine goldgrünen Augen, wie er sie irgendwie traurig ansah und sie um irgendetwas zu bitten schien. »Meine Unterstützung?«, fragte sie.
Dr. Terrien nickte zustimmend. »Genau dieses Wort hat er mir gegenüber vor nicht allzu langer Zeit benutzt. Er hat gesagt, er brauche Ihre Unterstützung.«
Helen hatte das Gefühl, als würde sich ein Schraubstock um ihre Brust zusammenziehen und ihr das Herz zerquetschen. »Das kann ich nicht«, sagte sie schwach. Abgesehen davon würde Leila mich umbringen.
»Er hat gesagt, dass nicht Sie sich die Alben mit ihm angesehen haben, sondern ihrer Tochter Mallory diese Aufgabe übertragen hätten.«
Helen kämpfte gegen ihr schlechtes Gewissen an.
»Wovor haben Sie Angst?«, erkundigte sich Dr. Terrien behutsam. »Glauben Sie, er wird Sie verletzen, wie er es gestern Abend getan hat?« Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die Quetschung an ihrer Kehle.
Helen schüttelte den Kopf. Es war, als würde sich der Schraubstock um ihre Brust noch enger zusammenziehen. »Nein«, erwiderte sie. »Er hat mich einfach nur mit jemandem verwechselt. Ich weiß, dass er es nicht absichtlich getan hat. Es ist … Es ist etwas anderes.«
»Und zwar?«, hakte der Psychiater nach.
Es war an der Zeit, ganz offen mit Dr. Terrien zu sprechen. Der Mann war klug genug, sich die Wahrheit ohnehin irgendwann zusammenzureimen. »Unsere jetzige Beziehung ist nur vorübergehend«, erklärte sie unverblümt. »Wir werden uns wieder trennen, sobald Gabe sein Erinnerungsvermögen zurückgewonnen hat.«
»Ah so«, sagte der Arzt und verzog traurig das Gesicht.
Helen wusste nicht, was sie sonst noch sagen sollte. Sie hatte das starke Bedürfnis, ihre Entscheidung zu rechtfertigen, und versuchte deswegen, sich selbst einzureden, dass sie dem Mann keinerlei Erklärung schuldig war. Schließlich ging es hier um ihr Leben.
Der Arzt legte die Handflächen aneinander, als würde er beten.
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