Aus Dem Dunkel
hölzernen Nischen, frei liegenden Balken und weiß getünchten Wänden. Helen beobachtete, wie Gabe in seine Pizza biss, die wie eine Fajita aussah. »Sehr lecker«, murmelte er und schien tatsächlich für einen Moment abgelenkt zu sein.
Sie hatte gewusst, dass ihm das Essen schmecken würde. Sie hatten schon mal in diesem Restaurant gegessen, vor ungefähr zwei Jahren. Doch im Gegensatz zum angenehmen Intermezzo an diesem Abend war es damals ein enttäuschender Familienausflug gewesen, auf dem Gabe hauptsächlich über seinem nächsten Auftrag gebrütet hatte. Die Erinnerung an jenen Abend sollte Helen eigentlich dabei helfen, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass sie Gabe lediglich auf die Sprünge helfen wollte. Es sollte sich nicht um ein Vorspiel für eine Versöhnung handeln.
Doch die Vergangenheit schien sich direkt vor ihren Augen in Luft aufzulösen. Gabe nahm einen Schluck von seinem Drink, lächelte sie an und zeigte mit der Gabel auf ihren Hühnersalat. »Wie ist der?«, wollte er wissen.
»Toll«, erwiderte sie. »Wirklich gut.« Der Salat war nicht halb so lecker, wie Gabe roch, aber das sagte sie nicht. Er hatte das Parfüm wieder ausgegraben, ihr Geschenk zu ihrem letzten gemeinsamen Weihnachtsfest. Sie war sich ziemlich sicher, dass er es niemals zuvor benutzt hatte. Daran würde sie sich ganz bestimmt erinnern.
»Das ist das Beste, was ich jemals gegessen habe«, fügte er hinzu und nahm beherzt noch einen Bissen.
»Ist das deine Art, meine Kochkünste schlechtzumachen?« Sie warf ihm einen strengen Blick zu und hoffte, wenigstens noch einen kleinen Rest ihrer ursprünglichen Ablehnung aufbringen zu können. Ohne ihre Widerstandshaltung fühlte sie sich so unglaublich verletzlich.
»Nein«, erwiderte er und wischte sich den Mund mit einer Serviette ab, während er die Stirn entschuldigend in Falten legte. »Du kochst großartig.«
Sie rang sich ein ungläubiges Lachen ab. »Ich weiß, dass ich fürchterlich koche.«
»Gut, dann kochst du eben fürchterlich«, neckte er sie mit einem schelmischen Funkeln in den Augen, »aber deswegen sind solche Momente wie dieser eben etwas ganz Besonderes, findest du nicht auch?«
Das tat sie. Dieser Moment wurde sogar gerade viel zu besonders. Sie schien regelrecht in Glückseligkeit zu ertrinken und genoss jede einzelne Minute dieser Illusion einer perfekten Familie. Sie wünschte sich, es könnte immer so sein, und wusste doch, dass es nie dazu kommen würde. Irgendwann wäre der alte Gabe wieder zurück, und was dann?
Der Kellner brachte noch mehr Salsa und ersparte es ihr, antworten zu müssen. Als er wieder ging, meldete sich Mallory zu Wort: »Hast du das ganze letzte Jahr nur Reis gegessen, Dad?« Sie warf ihm einen mitleidigen Blick zu.
Helen hielt den Atem an. Sie hatte das Thema Gefangenschaft aus zwei Gründen immer vermieden. Erstens, weil es ein Tabu zu sein schien, darüber zu sprechen. Und zweitens, weil er sich nicht mal daran erinnern konnte und deshalb nichts zu erzählen hatte.
Als Gabe Mallory ansah, schien er in Gedanken ganz weit weg zu sein. »Ja, ich glaube schon«, erwiderte er und kippte sein Bier hinunter.
Deutlich ermutigt, hakte Mallory nach. »Fängst du an, dich wieder an Sachen zu erinnern?«
»Ja«, erwiderte er knapp, als Zeichen, dass ihm das Gespräch unangenehm war.
»Wir sollen versuchen, uns daran zu erinnern, was passiert ist, bevor Dad aufgebrochen ist«, unterbrach Helen die Unterhaltung und warf ihrer Tochter einen vielsagenden Blick zu.
»Weißt du noch, dass wir hier schon mal gegessen haben?« Mallory verlor keine Zeit, Gabe ihre nächste Frage entgegenzufeuern.
Ziemlich überrascht sah er auf und ließ seinen Blick durch einen Raum schweifen, den er offensichtlich nicht wiedererkannte. »Nein«, sagte er.
»Du warst damals völlig gestresst, weil du auf irgendeine gefährliche Mission musstest. Ich habe meine Sprite umgekippt, und du hast mich deswegen angeschrien.«
Voller Bedauern sah Gabe von Mallory zu Helen. »Das tut mir leid«, erklärte er.
»Schätzchen, lass uns nicht über schlechte Dinge reden«, ermutigte Helen ihre Tochter. »Lasst uns einfach nur Spaß haben.« – Spaß haben? Himmel, wie kam sie denn nur darauf? Aber Gabes dankbarer Blick zeigte ihr, dass sie genau das Richtige gesagt hatte. Sie aß etwas Salat und grübelte über ein passendes Thema nach.
Dann erinnerte sie sich an Dr. Terriens Vorschlag, Gabe nach seiner Vergangenheit zu fragen. »Wer waren als Kind eigentlich
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