Aus Dem Dunkel
gekannt hatte. Ihr ging das Herz über vor Mitgefühl. Es tat ihr nicht halb so leid um sie selbst, die er angelogen hatte. Vielmehr ging es um den Jungen, der er gewesen war, und um den Mann, der geglaubt hatte, lügen zu müssen, um nicht stigmatisiert zu werden. Sicher hätte es sich ihr Vater zweimal überlegt, ihr Gabe vorzustellen, wenn er gewusst hätte, dass Gabe ein uneheliches Kind war. In solchen Dingen war ihr Vater sehr altmodisch. Für ihn war es schon schwierig genug gewesen, damit klarzukommen, dass sie Mallory bekommen hatte.
Nun war Gabe doch ehrlich zu ihr gewesen. Aber warum? Warum gewährte er ihnen gerade jetzt einen Einblick in seine Vergangenheit? Früher einmal hatte sie sich danach gesehnt, mehr über ihn zu erfahren. Unerwartet stiegen ihr Tränen in die Augen.
Abrupt schob Gabe sein Bier zur Seite und schüttelte den Kopf, als wollte er seine Benommenheit loswerden. »Mann, ich vertrage überhaupt keinen Alkohol mehr«, bemerkte er und riss sie damit aus ihren Gedanken.
»Das kommt von deinen Medikamenten«, meinte Helen, plötzlich besorgt. »Ich habe dir doch gesagt, dass du kein Bier trinken sollst.«
Er verzog das Gesicht. »Verzichte du mal ein Jahr lang auf Bier, dann sprechen wir uns wieder«, erwiderte er und unterdrückte einen Rülpser.
Mallory betrachtete ihn ernst von der Seite, ihre Burritos hatte sie vergessen. »Wir sind beide Bastarde«, platzte es plötzlich aus ihr heraus.
Schweigen senkte sich über den Tisch. Oh, mein armes Baby ! Mallory sprach selten davon, dass sie ein uneheliches Kind war; es war das Päckchen, das sie zu tragen hatte.
»Das is’ richtich«, erklärte Gabe, und Helen bemerkte überrascht, dass er anfing, etwas zu lallen. Und es erstaunte sie noch mehr, dass er Mallory einen Arm um die Schultern legte und sie fest an sich zog. Mallory schmiegte sich an Gabes Brust, und Helen hatte ein Gefühl, als würde sich ein Schraubstock um ihr Herz schließen.
Warum hatte er so lange gebraucht, um Mallory solche Zuneigung zu zeigen?
Er ist betrunken! , dachte sie und erklärte es sich damit. Nicht wirklich betrunken, aber seine Medikamente wurden durch das Bier verstärkt. Betroffen überlegte sie, ob sie ihn auf dem Weg zum Wagen wohl würde stützen müssen.
Den Arm immer noch um Mallorys Schultern und den Kopf auf das Polster hinter ihm gelegt, sah er nicht mehr wie eine Wildkatze aus, sondern eher wie ein verschlafener Löwe. Er richtete seinen leicht diffusen Blick auf Helens Dekolletee, das durch den Ausschnitt ihres orangefarbenen Sommerkleides besonders gut zur Geltung kam.
»Mom sieht heute Abend wieder toll aus«, flüsterte er Mallory so laut zu, dass Helen es hören konnte.
Mallory wandte den Kopf, um sie ebenfalls anzusehen.
Helen kämpfte darum, sich von Gabes rauen Komplimenten unbeeindruckt zu zeigen. Er konnte nicht klar denken. »Du hast definitiv einen im Tee«, erklärte sie mit kühler Stimme, die nichts von der Hitze verriet, die sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete.
Unter dem Vorwand, nach der Kellnerin zu rufen, wandte sie sich ab. Zu ihrer Bestürzung fiel ihr Blick auf jenen Mann, den sie an diesem Abend unter keinen Umständen hatte sehen wollen: den XO des SEAL -Teams 12, Lieutenant Commander Jason Miller.
Scheiße, nicht auch noch der! Sofort versteifte sie sich. Nicht nur, dass Gabe sich absolut nicht in dem geeigneten Zustand befand, um das erste Mal wieder auf seinen XO zu treffen, auch Helen hatte den Mann gemieden wie die Pest. In den vergangenen zwölf Monaten hatte er immer wieder versucht, sich in ihr Leben zu schleichen, und war einfach davon ausgegangen, dass seine Ähnlichkeit mit George Hamilton ihn einfach unwiderstehlich machte.
Zunächst hatte sie seine raffinierten Trostversuche freundlich abgelehnt, als sie von Gabes Verschwinden erfahren hatte. Doch es war zunehmend schwieriger geworden, sich seinen Grapschereien zu entziehen, ohne unhöflich zu werden.
Lieber Gott, er kommt zu unserem Tisch! Heimlich versetzte sie Gabe einen Tritt. »Setz dich gerade hin!«, zischte sie ihm zu.
Zum Glück nahm Gabe sofort Haltung an. Eine Sekunde später kam Miller an ihrem Tisch vorbei. Einen Moment lang ließ er die gemütliche Szene auf sich wirken, bevor sein düsterer Blick auf Gabe ruhen blieb. Sein Mund ließ ein Lächeln erahnen.
»Renault«, sagte er, »das ist ja unglaublich. Wir hätten niemals geglaubt, dass wir Sie wiedersehen würden.«
In der Sitzecke hatte Gabe Mühe, sich zu erheben und zu
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