Aus dem Feuer geboren (German Edition)
setzte einen Schlag aus. Nicht nur ihr Geld war weg, auch ihr Führerschein fehlte. Entweder hatte er beides oder sie waren in der Waschmaschine rausgefallen, was bedeuten würde, dass sie die Waschküche finden musste und die Waschmaschine und den Trockner durchsuchen. Vielleicht hatte er jemanden angestellt, der die Wäsche für ihn erledigte, vielleicht hatte diese Person ihr Geld und ihren Ausweis.
Sie stieg aus dem Bett und humpelte ins Badezimmer. Nachdem sie sich dort um die dringendsten Dinge gekümmert hatte, durchsuchte sie die Schubladen des Waschtischs, hoffte, dass er ein guter Gastgeber war – auch wenn er so ein schlechter Mensch war – und das Badezimmer mit den notwendigsten Dingen für den Notfall ausgestattet hatte. Sie brauchte dringend eine Zahnbürste.
Er war ein guter Gastgeber. Sie fand alles, was sie brauchte: Einen Vorrat an Zahnbürsten, noch in Plastik eingeschweißt, Zahnpasta, Mundwasser, dieselbe duftende Lotion, die sie schon am Abend zuvor benutzt hatte, ein kleines Nähetui, sogar neue Haarbürsten und Wegwerfrasierer.
Die Hersteller der Zahnbürsten hatten eindeutig nicht eingeplant, dass jemand ihr Produkt ohne Messer oder Schere öffnen wollte. Nachdem sie sich alle Mühe gegeben hatte, die Plastikverpackung auseinanderzureißen, nahm sie die kleine Schere aus dem Nähetui und stach, sägte und hackte fleißig auf die Verpackung ein, bis sie die Zahnbürste befreit hatte. Sie betrachtete die Schere gedankenverloren, dann legte sie sie auf den Waschtisch. Sie war eigentlich zu klein, um sie zu irgendetwas Nützlichem zu gebrauchen, aber …
Nachdem sie ihre Zähne geputzt und ihr Gesicht gewaschen hatte, bearbeitete sie ihr Haar mit einer Bürste. Gut genug. Auch wenn sie ihren kleinen Vorrat an Make-up dabeigehabt hätte, für Raintree hätte sie es bestimmt nicht aufgelegt.
Sie ging zurück ins Schlafzimmer und schloss die Tür ab, nur für den Fall, dass er beschloss, noch einmal unangekündigt hineinzuplatzen. Dann zog sie den Bademantel aus und begann, sich anzuziehen. Die Vorsicht war nutzlos, dachte sie bitter, denn wenn er reinkommen wollte, musste er ihr nur befehlen, die Tür aufzuschließen, und sie würde tun, was er gesagt hatte, ob sie wollte oder nicht. Sie hasste das, und sie hasste ihn.
Sie wollte sein Hemd nicht anziehen. Trotzdem hob sie es hoch und drehte es so, dass sie sich das Schild im Nacken ansehen konnte. Den Markennamen kannte sie nicht, aber danach hatte sie sowieso nicht gesucht. Sie studierte die Pflegeanleitung. Es war reine Seide.
Vielleicht würde es ihr gelingen, etwas Marmelade auf das Hemd zu schmieren – aus versehen, versteht sich.
Sie begann, in einen Ärmel des Hemdes zu schlüpfen, doch dann hielt sie inne, weil ihr sein letzter Befehl einfiel: Wenn du dich angezogen hast, komm in die Küche. Wenn sie erst einmal angezogen war, würde ihr wahrscheinlich keine andere Wahl bleiben, als in die Küche zu gehen, also sollte sie alles, was sie erledigen wollte, ehe sie das Hemd anzog, tun.
Sie ließ das Hemd zurück aufs Bett fallen, holte sich die kleine Schere aus dem Badezimmer und steckte sie in ihre rechte Hosentasche. Dann durchsuchte sie systematisch Schlafzimmer und Badezimmer nach allem, was sie als Waffe benutzen konnte oder was ihr dabei helfen könnte, zu entkommen. Wenn sie eine Öffnung sah, egal wie klein, musste sie bereit sein, sie zu nehmen.
Ein großes Hindernis war, dass sie keine Schuhe hatte. Sie zweifelte daran, dass die, die sie getragen hatte, gerettet werden konnten, aber wenigstens hätten sie ihre Füße geschützt. Raintree hatte sie nicht mit ins Schlafzimmer gebracht, aber vielleicht waren sie noch in dem Badezimmer, das sie letzte Nacht benutzt hatte. Sie wollte nicht barfuß durch die Gegend rennen, auch wenn sie das tun würde, wenn sie musste. Wie weit würde sie laufen müssen, ehe sie frei war? Wie weit reichte Raintrees Einfluss? Es musste einen Abstand geben, ab dem seine Gedankenspielchen nicht mehr funktionierten – oder nicht? Musste sie ihn sprechen hören oder funktionierten seine Befehle auch nur durch die Kraft seiner Gedanken?
Unbehaglich hoffte sie, dass er sie einfach irgendwie hypnotisiert hatte, denn wenn es etwas anderes war, steckte sie so tief in einer Art Twilight Zone , dass sie vielleicht nie wieder zurückfand.
Bis auf die Schere hatten weder Bad noch Schlafzimmer irgendetwas Nützliches zu bieten. Es gab keine Pistolen in den eingebauten Schubladen, keinen herumliegenden
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