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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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ab. Andere schöne Schauspielerinnen wurden angefragt und sagten ab. »Sehen Sie«, sagte Herr Krüger triumphierend, »man kann mit der Planung einer solchen Veranstaltung nicht früh genug anfangen, es kommt immer etwas dazwischen.«
    Ich hatte mir mittlerweile Videobänder mit den gepriesenen Inszenierungen angesehen und war froh, daß ich für diese finsteren Meisterwerke keine Lobesworte verfassen mußte. Langsam drängte es. Die Fernsehleute, die für die Live-Übertragung des Spektakels verantwortlich waren, wurden unruhig, sie brauchten einen roten Faden. Es waren einige Proben angesetzt, an denen die Preisverleihung für die Kameraleute und die Regie durchgespielt werden mußte. Tausend Fragen: Wo soll Kamera fünf stehen? Die Fernsehleute wollten meinen Moderationstext für die Planung ihres Ablaufs sehen - den aber konnte ich nicht schreiben, weil noch kein Moderator gefunden war. Denn auf die Person des Moderators würde ich den Text abstimmen müssen. Nachdem zehn berühmte Schauspielerinnen abgesagt hatten, wurden berühmte männliche Kollegen gefragt - die nach einigem Zögern auch absagten. Dann wandte sich der Direktor an weniger berühmte Schauspielerinnen und Schauspieler.
    Zehn Tage vor dem großen Abend hatte man die Zusage eines Schauspielers, der vor Jahren einmal weniger berühmt gewesen und nun vollends in Vergessenheit geraten war. »Es ist nicht ganz leicht, mit ihm umzugehen, aber Sie schaffen das schon«, sagte Herr Krüger. Ich dachte an mein Honorar, das allerdings nicht süß, sondern sauer verdientes Geld sein würde, und traf mich mit dem Schauspieler und dem Direktor. Zu dritt waren wir uns rasch einig, daß diese spießige Veranstaltung nur mit einer extrem ironischen Moderation zu retten sein würde. »Genau«, jauchzte Direktor Krüger, ironisch ist immer gut, bloß nicht so verstaubt und so herkömmlich und zum Einschlafen wie in den letzten Jahren, bitte, meine Herren, deshalb haben wir Sie ja engagiert, das soll kein Abend für Ministergattinnen sein, das soll Pfiff haben, Sie schaffen das schon, ich lasse Sie jetzt allein.
    Der Schauspieler bat mich nun, ihm einen Moderationstext zu schreiben, der es ihm ermöglichen würde, einen Schauspieler zu spielen, der einen Conférencier zu spielen hat und der dies nur sehr widerwillig tut. Man soll ihm ansehen, daß er eigentlich ein hochkarätiger Shakespeareschauspieler ist. Er beugte sich zu mir und sagte konspirativ: »Ich will mir ein bißchen verirrt vorkommen.« Und fügte nach einer Pause hinzu. »Verstehen Sie«, und zwar so, als sei ich nie und nimmer in der Lage, ihn zu verstehen.
    »Ich verstehe«, sagte ich, »Sie wollen den spielen, der Sie sind: einen, der seine Rolle nicht spielen will - ich kann mich vollkommen mit Ihnen identifizieren. Mir geht es nicht anders.«
    Nach dem vierten oder fünften Viertel Wein war klar: Mit Hilfe der genialen Darstellungskraft dieses großen Shakespeareschauspielers und mit meinem Text würde ein grandioser Abend gelingen: eine spektakuläre Verhöhnung aller amerikanischen oder amerikanisierten Preisverleihungsveranstaltungen. Höchste Eile war geboten. Übermorgen spätestens bräuchte er den Text, den er schließlich noch würde lernen müssen.
    Noch in derselben Nacht setzte ich mich hin, angeregt von den feurigen Plänen, trank Kaffee, wurde nüchtern, vergaß Lindas Lederröcke, schrieb den Text und fühlte mich dabei sicher wie in den Glanzzeiten meiner literarischen Potenz. Der Ablauf des Abends war von den Fernsehleuten genau reglementiert. Der Moderator hatte sieben Auftritte, je maximal eine Minute. In dieser Zeit mußte er die preisgekrönte Produktion nennen und den Laudator auf die Bühne bitten und vorstellen - und das alles mit charmanten und bitte, bitte witzigen Worten, wie der Direktor gebettelt hatte, und bitte, bitte mit Esprit und Biß - und schön unherkömmlich bitte, bitte. Und nun war ein Moderationsdarsteller gefunden worden, der den dringenden Wunsch hatte, sich bei seiner Moderation verirrt vorzukommen. Es war ein bißchen viel, was ich unter einen Hut zu bringen hatte. Eine Art Quadratur des Kreises, was da verlangt wurde. Ich konnte es nicht fassen, daß es mir auf Anhieb gelang. Der Text enthielt Spitzen auf die Regierung, so eingepackt, daß sie ihre anwesenden Vertreter ertragen würden. Die lobredenden Minister, Bürgermeister und Intendanten wurden mit geistvollen Worten vorgestellt, und der Moderator hatte genug Möglichkeiten, sich über sein

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