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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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Moderieren lustig zu machen. Selbst über den Wiedergutmachungsphilosemitismus der Jury hatte ich mich mokiert, so dezent, daß die israelische Komponistin der Holocaust-Oper sich darüber amüsieren müßte, sofern sie so nett war, wie sie auf dem Foto aussah.
    Am Vormittag war ich mit meinem Text fertig, ließ ihn sofort allen Beteiligten zukommen und hatte das Gefühl, meine Schreibkrise nun überwunden zu haben, ohne daß ich meine Lust auf Linda und ihre Lederröcke dafür hätte opfern müssen. Dann eine Blitzbesprechung im Theater. Der Schauspieler tödlich beleidigt: Sein Text sei völlig herkömmlich, das sei nicht so abgemacht gewesen. Diesen Text spreche er nicht, den lerne er nicht, der gehe gar nicht in seinen Kopf hinein. Er habe keine Lust, wie ein normaler Conférencier irgendwelche bescheuerten Minister auf die Bühne zu bitten, er wolle wie ein verrückter Shakespeareschauspieler wirken, so sei er mit mir übereingekommen, er wolle keine simplen Informationstexte sprechen. »Wer bin ich denn!« Ich solle ihm bitteschön Shakespearezitate in den Text flechten.
    Direktor Krüger drehte die Augen zum Himmel und sagte, er habe in der Zwischenzeit Anweisung von Ministerium erhalten, es müßten mehr Informationen in die Moderationstexte, die Laudatoren seien nicht dazu da, zu informieren, sondern zu loben, informieren müsse der Moderator. - Der Fernsehverantwortliche lächelte buddhistisch und sprach zu mir in etwa Folgendes: Ihr Text ist wunderbar - ein Gedicht. Eine reife Leistung. Ich hoffe, wir können wieder einmal zusammenarbeiten. Köstlich vor allem die Stelle, wo Sie sich über den Philosemitismus der deutschen Jurys lustig machen. Was habe ich darüber gelacht. Eine Perle. Aber wir müssen die Stelle natürlich streichen. Das kann man nicht senden. Im übrigen kriegen wir nicht die versprochenen zweieinhalb, sondern nur zwei Stunden. Da man die Reden der Minister schlecht kürzen kann, heißt das, die Moderationstexte müssen um die Hälfte reduziert werden: auf sieben Mal eine halbe Minute.
    Der Schauspieler sagte: »Da mache ich nicht mit!« Der Direktor flüsterte mir zu: »Schreiben Sie ihm bitte, bitte sein Shakespearezitat in den ersten Auftritt, sonst springt er ab.« Ich sagte: »Dann wird der Text doch noch länger.« - Der Direktor sagte: »Das kriegen wir schon hin.«
    In meiner Not rief ich Olga an. Olga hatte, ehe sie unter dem schönen Pseudonym Ninotschka Warschawa als Autorin pornographischer Romane, die sämtliche Intellektuellen Europas in höchsten Tönen gelobt hatten, erfolgreich wurde, Moderationstexte für einen idiotischen Fernsehsender geschrieben und war mit allen Wassern der Medienwelt gewaschen. Olga ist auch Jüdin, aber nicht ganz so frivol wie Linda. Als erstes fragte ich sie, wie sie das Kuschen der Verantwortlichen wegen meiner milden Verspottung ihres eigenen servilen Philosemitismus einschätzte. »Sei nicht naiv«, sagte sie nur, »was hast du erwartet.« Als ich ihr die Sache mit Shakespeare erzählte, lachte sie, wie nur eine Autorin guter pornographischer Romane lachen kann, und erzählte mir die Geschichte, die von Joseph Roth stammen könnte: Ein Onkel von ihr, ein Jurist, habe etlichen galizischen oder polnischen oder weißgottwelchen Juden die Briefe an irgendwelche Ämter formuliert, Briefe, die normale Menschen nicht schreiben können, schon gar nicht sogenannte einfache Menschen, schon gar nicht, wenn sie die Sprache nicht recht beherrschen. Es ging um die üblichen »Ersuchen« oder »Anträge«, die man gern gespreizt formuliert hat, weil man glaubt, dann werden sie positiver beantwortet. Aus irgendeinem Grund hielten die Antragsteller das harmlose Wort »dennoch« für besonders amtlich und besonders seriös - »dennoch« schien ihnen für die nötige Nachdrücklichkeit zu sorgen. Ein Antrag ohne »dennoch« war nichts wert. Und so schauten die Antragsteller Olgas Onkel beim Schreiben der Briefe zu, und da sie Geld für diese Leistung zu zahlen hatten, hatten sie den schreibenden Onkel immer gebeten: Kannst du nicht noch a bißl »dennoch« reinhacken.
    Ich war begeistert von der Geschichte. »Kannst du meine Nase nicht noch ein bißchen stolzer und den Mund etwas herrischer machen, bat der Monarch den Maler, der ihn portraitierte!«, sagte ich.
    »Genau«, sagte Olga, »du bist der Maler, du bist mein Onkel, und sie haben dir nichts anderes gesagt als: Kannst du nicht noch a bißl Shakespeare reinhacken! Also stell dich nicht an und hack ihnen

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