Aus dem Leben eines Lohnschreibers
Kommodenschubladen geradezu vornehm durchsucht. Ich riß sie nun auf und wühlte herum, hektischer als ein Einbrecher. Einen Gürtel, zwei Gürtel brauchte ich schleunigst. Zum Glück hatte ich einmal eine Freundin gehabt, die immer wieder gefesselt werden wollte. Mit Gürteln konnte ich umgehen. Ich fesselte Berim an Händen und Füßen. Es kam so wenig Widerstand wie damals bei meiner Fesselfreundin. Er ließ es völlig apathisch geschehen. Er rief leise: »Fatima!« Berim und Fatima. Sie rief leise etwas zurück. Ich bin, wie gesagt, nicht kräftig, aber es war nicht schwer, den gefesselten Berim hinunterzutragen. Ich legte ihn neben seiner Fatima ab. Beide waren jetzt sehr blaß. Ich war braun gegen sie. Ich kam mir vor wie ein deutscher Henker.
Wie in einem Haus im Süden zu erwarten, waren Flaschen mit kaltem Wasser im Kühlschrank. Ich öffnete eine große Plastikflasche und drückte sie Fatima in die Hand, auf die ich nicht geschlagen hatte. Sie gab sofort Berim zu trinken, trank dann selbst, goß sich das restliche kalte Wasser über die Bruchstelle des Beins und stöhnte leise. Ich ging noch einmal hoch und holte das Handy, das Berim aus der Hand gefallen war. Die beiden redeten unverständlich miteinander, albanisch vermutlich. Ich sagte ihnen, daß ich jetzt das Auto holen und sie mitnehmen würde. »Polizia«, sagte Berim leise, fast hoffnungsvoll. Nach dem, was hier vorgefallen war, hatte er offenbar keine Angst vor einer Auslieferung an die Polizei, sondern sehnte sich geradezu nach Recht und Ordnung.
»Permesso«, sagte ich, als ich erst Fatima und dann Berim ins Auto hob. Er, noch immer gefesselt, hinten, sie vorn auf den Beifahrersitz. Ihre unverletzte Hand band ich am Sicherheitsgurt fest. Sicher ist sicher. Wer Menschen mit Messern anfällt, greift auch in Lenkräder und steuert in tödliche Abgründe. Das Haus der deutschen Musterfamilie ließ ich so wie es war. Dann fuhr ich eine halbe Stunde zu meinem Haus. »Polizia«, flehten die beiden übel zugerichteten Passagiere, als sie merkten, daß ich nicht in das Städtchen fuhr.
Einer der Deutschen, die ich wegen meiner Einbruchs-Recherchen besucht hatte, war ein Arzt. Ich rief ihn an und erklärte, daß ich eine Frau in mein Haus geschafft hätte, die nach einem Vergewaltigungsversuch fliehen konnte. Sie sei verletzt. Ihr Freund habe auch etwas abgekriegt. Bitte um Diskretion, sagte ich, wir sind im wilden Italien, die Schande ist größer als die Verletzung, ich bringe die beiden morgen ins Krankenhaus. Bitte nur Erste Hilfe leisten und eine erste Diagnose stellen und Schmerzmittel nicht vergessen.
»Polizia«, sagten meine beiden Hausgäste froh, als es klopfte. »Dottore«, sagte ich. Nicht so schlimm, sagte der Arzt, ihm ist ein Zahn angebrochen, sie hat einen vermutlich glatten Bruch, die werden schon wieder, ein Orthopäde muß das allerdings noch röntgen und schienen. »Das Bein bleibt hübsch«, sagte er zu Fatima. Ich übersetzte, sie lächelte das erste Mal matt. Die Schmerztabletten wirkten. Klar zeigen wir das an, sagte ich zum Arzt. Als er gegangen war, war all meine Wut verflogen. Berim und Fatima sahen sich ähnlich. Ich versuchte herauszubekommen, ob sie ein Paar waren oder Geschwister. Berim war ihr Bruder. Ich merkte, wie mir diese Auskunft gefiel.
Fatima verstand genau so viel Italienisch, wie ich sprechen konnte. Ich sagte ihr, daß mein Laptop wieder unversehrt hierherkommen muß, nebst externer Festplatte zur Sicherheit. Gnade euch Gott, wenn die Daten gelöscht sind. Bis meine Sachen hier sind, schmoren Fatima und Berim als meine Gefangenen hier im Haus bei Wasser und Brot. Es war mittlerweile der 28. August. Am 1. September würde ich das Haus verlassen. Ich gab ihr das Handy, sie wählte und hielt es dann ans Ohr ihres Bruders. Der gefesselte Bruder Berim redete aufgeregt und eindringlich. Dann sagte er etwas zu Fatima. Die übersetzte mir: Es ist kompliziert, die Sachen sind nicht mehr in unserem Besitz. Die Diebe empfanden sich tatsächlich als Eigentümer: non siamo più propriotaria delle quelle cose. Sie bot mir neue Laptops an, und Geld. Jetzt wollten sie nur weg von hier. Ich machte ihr klar, daß es weniger um den Laptop ging als um den Inhalt der Festplatte. Zum Glück verstand sie das. Sie erklärte es ihm. Er verstand erst nicht und mußte dann noch einmal telefonieren. Fatima soufflierte ständig. Offenbar war ihm immer noch nicht klar, was ich wollte. Endlich sagte sie: »In zwei Tagen ist die
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