Aus dem Leben eines Lohnschreibers
Stadt einen weiteren Superlativ bescheren würde, den Hunderten von viele hundert Meter hohen Hochhäusern entgegen, die das moderne Schanghai bilden. In der eiskalten großen Hotelhalle dann ein Riesentransparent: WIR HEISSEN DEUTSCHE VERFASSER HERZLICH WILLKOMMEN IN SCHANGHAI!, darunter Dutzende von Hortensien wie bei einem Gewerkschaftskongreß.
Die ersten Tage waren hartes Delegationsleben. Man hatte sich Kurzbiographien und Veröffentlichungslisten von uns besorgt. Da ich vom Bücherschreiben lebe, muß ich fleißig sein. Achtundzwanzig Veröffentlichungen gab es, Kinderbuch, Flugschriften, Sammelbände mitgezählt, das hatte einer der vielen fleißigen Chinesen, die uns betreuten, nachgezählt, und so war ich »Der Dichter mit den achtundzwanzig Büchern«, zudem der älteste, zudem adelig - also der würdigste der würdigen Verfasser, und mußte als solcher als erster der Delegation Minister und andere wichtigen Menschen begrüßen und mit einer Ausdauer Hände schütteln, als begännen sogleich historische Weltfriedensgespräche. Permanent waren Fotografen und ein Kamerateam dabei, allabendlich kamen Fernsehberichte über die von bedeutenden Schanghaier Persönlichkeiten empfangenen und von Schanghai mächtig beeindruckten bedeutenden deutschen Verfasser.
Nach einer Weile bekommt man ein Gespür dafür, daß der Kameramann immer dann auf einen zuschwenkt, wenn man sich höflich nickend Notizen macht oder den Anschein erweckt, beeindruckt zu sein. Auch wenn man nur angestrengt lauscht, weil man den Dolmetscher nur schwer versteht, wirkt man kolossal konzentriert und interessiert und telegen. Einmal bin ich über einen Markt gegangen. Ohnehin schon anstrengend, wenn einem in einer gänzlich unverständlichen Sprache Textilien oder schwarz gebrannte DVDs angeboten werden, dabei aber auch noch gefilmt zu werden und zu ahnen, am Abend als Beweis für das brennende Interesse wichtiger deutscher Schriftsteller an wichtigen chinesischen Seidentaschen herhalten zu müssen, und das bei über 40 Grad im diffusen subtropischen Dunst, läßt den Schweiß in Strömen fließen - eine nicht sehr telegene physiologische Reaktion, vor der sich die weniger schwitzenden Chinesen angeblich ekeln. Andererseits hat der Schwitzende immer etwas Unterlegen-Beflissenes, der Nichtschwitzende ist immer der Souverän. Auch nicht schlecht, wenn man besser ist als der beste Gast.
Hart war die obligatorische Besichtigung des Fernsehturms, von dessen Spitze aus täglich Tausende von Inlandchinesen die Stadt bewundern, die sich in zehn Jahren von einer Großstadt in eine Metropolis verwandelt hat, obwohl an vielen Tagen im Sommer die Sicht miserabel ist und viele der unzähligen, teils eigenwilligen, teils imposanten Hoch- und Höchsthäuser mit ihrem oberen Teil im heißen Nebel verschwinden, was besonders komisch sein muß, wenn man im 100. Stock eines solchen Hotel-Towers für 600 Dollar der Aussicht wegen ein Zimmer genommen hat. Unser Delegationskonvoi hielt an einer Absperrung, und wir glaubten, gleich würde der amerikanische Präsident vorfahren und mit seinem einfältigen Texas-Grinsen über den roten Teppich laufen. Rasch aber stellte sich heraus, daß der Teppich für uns, die deutschen Verfasser ausgelegt war. Es wurde mir bedeutet, daß ich als »Dichter mit den achtundzwanzig Büchern« und somit Delegationsführer als erster über den Teppich zu schreiten habe. Der Schaulauf war unvermeidlich. Auf den Dutzenden von Fotos, die dabei geschossen wurden und die ich später zu Gesicht bekam, ist zu erkennen, daß es mir einigermaßen gelang, meine peinliche Berührtheit mit einem mittlerweile schon ganz asiatischen Lächeln zu tarnen. Seitlich vor uns lief das Fernsehteam. So steuerte ich auf einen Mann zu, der wie der Ministerpräsident von China aussah, sich aber dann als Manager des Fernsehturms erwies. In diesem Augenblick hoben zwei Dutzend in leuchtblauen Phantasieuniformen strammstehende Chinesen-Girls ihre Blasinstrumente an den Mund und spielten »Freude, schöner Götterfunken« im Marschrhythmus. Später erfuhr ich, warum der Fernsehturmmanager so sorgenvoll aussah: Das eben noch höchste Bauwerk der Stadt wurde von neuen, noch höheren Hochhäusern in den Schatten gestellt.
Wer der idealistischen Ansicht ist, fremde Orte müßten auf eigene Faust erkundet werden, weil den Empfehlungen Einheimischer nicht zu trauen sei, der sollte keine solche Einladung annehmen. Sprachunkundig aber wird er sich in einer Großstadt
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