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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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Golfplatzes am Stadtrand durchsetzen lassen, und drum herum eine Siedlung mit Dutzenden von schlecht nachgemachten Pseudorenaissancevillen, wie sie alte Hollywoodschicksen und junge Ölscheichs mögen. Diese grauenhaft goldmöblierten und mit ekelhaften Brokatvorhängen ausgestatteten Horrorhäuser im lebensmüden Niemandsland stehen je nach Ausstattung für vier bis sechs Millionen Dollar zum Verkauf. Und der Eigner einer solchen Anlage wäre selbst im mafiotischen Italien kein einundzwanzig Jahre junger, unsicher zu Boden blikkender Finanzfinsterling, dem fünf Adlaten gleichzeitig Feuer geben, wenn er zur Zigarette greift, und der ohne Ausschreibungsverfahren einem einzigen miserablen Architektenfreund den Auftrag zum Bau dieses abartigen Marmorghettos geben konnte.
    Dafür, daß der groteske Protz diese Häuser für nichtdebile Ausländer vollkommen unbewohnbar macht, hat man noch kein Verständnis entwickelt. Als ich als Verfasser von achtundzwanzig Werken und somit als bedeutender und vermeintlich wohlhabender Mann von einer chinesischen Immobilienmaklerin aufgefordert wurde, eine der Villen zu kaufen, sagte ich: »Mache ich, wenn Sie dafür sorgen, daß ein Roman von mir ins Chinesische übersetzt und drei Millionen Mal verkauft wird, was bei einem Milliardenvolk keine Schwierigkeit sein müßte.« Die Maklerin antwortete, es wäre einfacher, einen Roman über Schanghai zu schreiben und sich mit der Schanghaier Stadtregierung gut zu stellen, die würde dann schon dafür sorgen, daß der Roman die nötige Verbreitung fände und ich ein reicher Mann werde. Ich war nicht ganz sicher, ob der Vorschlag ironisch oder womöglich halb bis dreiviertel ernst gemeint war.
     
    In Schanghai beginnt die inoffizielle Zeitrechnung Anfang der 1990er Jahre. Was davor war, nennt man »früher«. In dieser grauen Vorzeit gab es keine Hochhäuser, keine Hochautobahnen durch die Stadt, keine Brücke über den Fluß, keinen Tunnel, keinen riesigen, aus dem Boden gestampften Stadtteil Pudong. Weil es kein Besucher glauben kann, wie in zehn Jahren soviel gebaut werden und eine völlig neue Stadt entstehen kann, lautet das Wort, das ständig gestammelt wird: »Unglaublich«. - »Wie ist Ihr Eindruck«, wird man als Delegations-Schaf unentwegt von den Journalisten gefragt, und auch wenn man als bedeutender deutscher Verfasser wenig originell, sondern eher ärmlich tautologisch zur Antwort gibt: »Ich bin beeindruckt«, sind die Journalisten im großen und ganzen zufrieden. Aufforderung zur Selbstkritik ist ihnen noch ziemlich fremd. Vielleicht hat man diese Disziplin in der Kulturrevolution auch überstrapaziert. Naseweise ausländische Gäste, die nostalgisch darauf hinweisen, daß durch die Bauwut alte Stadtsubstanz verlorengehe, gibt es nicht wenige. Sie werden höflich gebeten, sich die alten Viertel anzusehen, in denen die Leute beengt und ohne eigene Küche und Toilette leben.
    Ich habe diese allabendlichen Berichte über den Tag der deutschen Verfasser im Schanghaier Stadtfernsehen nie gesehen, kann sie mir aber vorstellen: Vermutlich sieht man aus wie ein von Leni Riefenstahl von unten gefilmter Hitlerjunge, der kühn und begeistert in die Zukunft des Tausendjährigen Reichs blickt. Die Tonleute des Teams fragen einen zwar und halten einem auch ein Mikrophon vor den Mund, aber ich bin sicher, daß die Antworten völlig einerlei sind und in der Übersetzung der O-Töne immer den gleichen Inhalt haben, in etwa diesen: Wow, bin wirklich überrascht und begeistert und total beeindruckt von dieser Stadt.
    Als eine junge Redakteurin der Zeitung »Shanghai Daily« meinen Eindruck von Schanghai hören wollte und ich keine Lust mehr hatte, schon wieder all die Hochhäuser »unglaublich« und »beeindruckend« zu finden, hatte sie ein Erbarmen und sagte: »Your answer must not be positive.« Darauf sagte ich ihr, mehr als vom höchsten Hochhaus sei ich beeindruckt von ihrer soeben ausgesprochenen Einladung zur Kritik. Das solle sie schreiben: »Das Keimen von Kritik und Selbstkritik im neuen China, diese ungefähr sechs Zentimeter hohe Kritikbereitschaft ist eindrucksvoller und gibt zu mehr Hoffnung Anlaß als die sechshundert Meter in den Himmel hochgewucherten Luxushotels.« Als meine Antwort dann nicht in der Zeitung kam, fragte ich nach. Noch nie was von Zensur und Partei gehört, wurde mir bedeutet. »Your answer was quite funny and we laughed a lot, but our newspaper is to serious for that.«
     
    Energie, Ehrgeiz und

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