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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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Wartezeiten und endlose Besucherschlangen vor mittelmäßigen Ausstellungen sind Indizien genug. Der Einblick in die Unsinnsmaschinerie gekonnten Kulturmanagements aber hat mehr Wucht, wenn man selbst ein Bestandteil des Wahns ist und dafür um die halbe Welt geflogen wurde. Wegen dieser Erkenntnis hat sich die Reise dann indirekt doch gelohnt. Und natürlich wegen der jungen Chinesinnen, die einem als Dolmetscherinnen und Betreuerinnen zur Seite stehen. Sie sind entzückend, zutraulich und albern. Wenn man länger mit ihnen zusammen wäre, könnte man ihnen vielleicht sogar eine Fähigkeit beibringen, die in China noch etwas unterentwickelt ist: die Selbstironie.
    Ziemlich clever, was die Stadtregierung von Schanghai sich einfallen ließ: Statt ihre Künstler, die außerhalb Chinas kaum einer kennt, nach Goetheinstitutsart für teures Geld ins Ausland zu schicken, wo sie dann in winzigen Veranstaltungsräumen vor ein paar Sinologen chinesische Kultur repräsentieren und womöglich kritische Äußerungen zum chinesischen Wirtschaftswunder hören würden, lädt man ausländische Künstler ein, bewirtet sie großzügig, zeigt ihnen Sehenswürdigkeiten am laufenden Band und bittet sie um einen Text, wie manche Gastgeber eben um einen Gästebucheintrag bitten. Den Wunsch kann man ihnen schlecht verwehren. Damit man den Gästebucheintrag besser lesen kann, stellt man den Gästen einen Computer ins Zimmer und erläßt ihnen zwei Tage den Sightseeing-Streß, um ihnen Zeit zum Tippen zu geben.
     
    Ich bin in den beiden freien Tagen endlich dort herumspaziert, wo wir nicht hingeführt worden waren. Vom 24. Stock meines Luxushotels aus hatte ich einen Blick auf ein Meer von drei- bis vierstöckigen Wohnblocks. Die armen Leute, die da wohnen müssen, hatte ich all die Tage gedacht. Nun hatte ich Zeit, hinunterzugehen und durch diese Siedlungen zu spazieren. Magnolienbäume, Oleander, Buchsbaum - alles grün. Die Siedlung konnte nicht älter sein als sieben Jahre, war aber eingewachsen, als gäbe es sie seit vielen Jahrzehnten. Schlendernde Menschen, ohne Hast. Und diese wunderbare Sitte der Chinesenmänner, Tag und Nacht mit dem Schlafanzug auf der Straße herumzulaufen.
    Allein, ohne Dolmetscher, konnte ich niemanden fragen. Aber die Sprache der Körper, die Haltung der Leute war Antwort genug. Ich sah es an dem lässigen, selbstsicheren Gang der Menschen, daß sie sich hier wohl fühlten. Die Frauen sangen leise beim Gehen und Radfahren. Wen ich anlächelte, der lächelte zurück. Fremder als hier kann man als Fremder nicht sein. Dennoch fühlte ich mich hier nicht als Fremder und wurde auch nicht als ein solcher angegafft.
    Mein Hotel war so nah, daß ich den Kopf in den Nacken legen mußte, um bis oben hin zu sehen. Aber es war kein zynischer Kontrast zwischen arm und reich. Das Hotel stand einfach da und glänzte und störte nicht weiter. Auch die Blätter der Magnolienbäume glänzten. Es war warm und friedlich und Mittag. Die Leute saßen vor den Häusern. Sie lasen, schliefen, spielten ihr Brettspiel, nähten einen Knopf an oder bereiteten das Essen vor. Sie kamen vom Einkauf. Es roch gut und immer besser. Ich dachte an enge Dörfer in den Mittelmeerländern, in denen man sich oft wie ein Eindringling vorkommt. Hier in einer Wohnsiedlung im fernen fremden Schanghai hatte ich nicht das penetrante Gefühl, als ein neugieriger Exot den Einheimischen zu nahe zu kommen und sie zu stören.
    Ich kaufte mir an einem Stand für einen Yuan einen Spinatfladen, unglaublich gut, verschlang ihn und kaufte gleich noch einen. Das freute den Bäcker. Ein Yuan sind etwa fünfzehn Cent. Eine Flasche Wein in einem besseren Restaurant kostet ein paar Hundert Mal so viel.
    In den beiden verbleibenden Nächten schrieb ich, wie es abgemacht war, meinen Gästetext. Jeder von uns Verfassern hatte sein Thema. Meines war »Ausländer in Schanghai«. Ich hatte mit etlichen Deutschen und Amerikanern gesprochen, die alle gern hier lebten und arbeiteten. Von daher wurde mein Text positiver, als mir lieb war. Ich versuchte, in den Nebenbemerkungen gegen den Strich zu schreiben, lobte das Spucken auf die Tischdecke und das Tragen von Schlafanzügen auf der Straße, beklagte politisch korrekt das Abreißen alter Stadtviertel und das Schicksal der Millionen unsichtbarer Wanderarbeiter aus der Provinz, durch die allein der rasante Aufbau möglich ist, amüsierte mich über das permanente naive Prahlen mit den Superlativen und versuchte sogar irgendwo

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