Aus dem Leben eines Lohnschreibers
unterzubringen, daß die Todesstrafe ein Unding sei, löschte die Passage aber wieder, weil sie gar zu pflichtschuldigst aufgesetzt wirkte und war.
Im Jahr davor hatte man das gleiche Spiel mit ein paar deutschen Fotografen getrieben. Man hatte sie eingeladen, herumgeführt, seine Superlative gezeigt und sie zum Knipsen aufgefordert. Ein Buch war entstanden. »Deutsche Fotografen sehen Schanghai.« Das gab es als Abschiedsgeschenk. Auch aus unseren Beiträgen würde ein Buch gemacht und uns zugeschickt werden.
Blitzschnelle, superorganisierte Chinesen. Das Buch kam, kaum hatte ich zu Hause den Koffer ausgepackt, nach zehn Tagen über die chinesische Botschaft in Berlin, picobello gedruckt, Fadenheftung. »Deutsche Schriftsteller sehen Schanghai.« Schade, daß wir nun keine Verfasser mehr waren.
Was meinen Text betraf, war ich gespannt und auf das Schlimmste gefaßt. Bei den Zeitungen und Zeitschriften in unserer pressefreien Luxusdemokratie gibt es genügend Redakteure, die bestellte Texte liebend gerne zurechtstutzen oder aufpeppen, wenn sie nicht auf ihrer Lifestyle-Linie liegen, wenn die Autoren ihrer Ansicht nach über die Stränge geschlagen haben oder unter Niveau geblieben sind. Oder wenn die Redakteure, was zwar irgendwie nett, doch im Ergebnis noch schlimmer ist, der Text so anregt, daß sie ihn mit eigenen Formulierungen verunzieren, die dann einen Duft ausströmen, als wäre man von einem Fremden mit Rasierwasser bespritzt worden. Natürlich muß eine Redaktion vor Eingriffen den Autor kontaktieren. Wenn aber, wie so oft, höchste Eile herrscht, der Autor nicht erreichbar ist, und ein Text auch nur rasch gekürzt werden muß, können seltsame Dinge mit ihm passieren. Wie oft habe ich schon Zeitschriften sofort in die Papierabfalltonne werfen müssen, weil einem Beitrag von mir klammheimlich der entscheidende Zahn gezogen worden war.
Zu meiner Überraschung war mein Schanghai-Text unverfälscht und wiederzuerkennen. Einige spöttische, die naiv-prahlerische Selbstverliebtheit der Stadt betreffende Bemerkungen waren durchaus erhalten geblieben. Daß man meine Hymne auf die ungezwungenen Tischsitten Chinas als ironische Kritik mißverstehen mußte, war klar. Der neben mir spuckende Minister war diskret aus dem Text entfernt, das konnte ich den Chinesen nicht verdenken. Er wäre vermutlich auch hier der Schere so mancher spießigen Redaktion zum Opfer gefallen, mit der Begründung, daß man den Leserinnen und Lesern einen so unappetitlich ausspuckenden Menschen nicht zumuten wolle. Alles in allem hatten die Redakteure oder Lektoren im Land der Zensur behutsamer gekürzt und redigiert als ein ängstlicher Redakteur hierzulande, der die Befürchtung hegt, eine dreckige Bemerkung über Protzlimousinen könnte einen automobilherstellenden Anzeigenkunden verärgern und seinen Arbeitsplatz in Gefahr bringen. Das Buch mußte nicht in die Papiertonne, ich konnte es ungeniert jemandem schenken, der eine Reise nach Schanghai plante.
Eine Weile gingen dann, wie das so ist, noch E-Mails mit den dolmetschenden Begleitern und Begleiterinnen hin und her. Meine Lieblingsbegleiterin hatte immer das »Du« und »Sie« bei der Anrede verwechselt. Wenn ich sie aufmerksam machte, daß sie gerade wieder einmal einen bedeutenden Verfasser geduzt hatte, kicherte sie entzückend, tat erschrocken und griff nach meinem Unterarm, als sei ich verärgert und müsse beschwichtigt werden. Von ihr kam die Frage angemailt: »Wann kommen Du wieder, Verfasser?«
Die große Glaubensfrage
Eine wahre Weihnachtsgeschichte
Es war ein November- oder Dezembertag vor langer, langer Zeit, als das E-Mailen noch nicht erfunden und das Faxen noch nicht geläufig und der Euro als Währung noch nicht einmal geplant war.
Da klingelte das Telefon. Die Redaktion der »Bunten Illustrierten«, kurz »Bunte« genannt. »Sie haben sich verwählt«, sagte ich so streng und zugleich nachsichtig wie möglich. Nein, man hatte sich nicht verwählt: Für die Weihnachtsausgabe der Illustrierten suche man Schriftsteller, die kurz, bündig und kindgerecht eine Frage von Klein-Sandra beantworten sollten. Ob es einen Weihnachtsmann gäbe, habe die siebenjährige Sandra von der Redaktion wissen wollen. Nun habe man sich einfallen lassen, verschiedene »berühmte und namhafte« Schriftsteller um eine Antwort auf diese brennende Frage zu bitten.
Der »namhafte Schriftsteller« schmeckte mir selbst aus dem Mund dieser illustrierten Redaktion. Zu meinem Ärger merkte
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