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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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Erfolgsstreben der jungen Chinesen werden vor allem von den in Schanghai lebenden, natürlich selbst rasend ehrgeizigen, strebsamen und erfolgreichen Ausländern ehrfurchtsvoll gepriesen. Was für ein Gegensatz zu der versumpften Jugend der westlichen Wohlstandsgesellschaften! Ein Podiumsgespräch der deutschen Verfasser in einer der vielen bedeutenden Schanghaier Universitäten scheint den Wissenshunger der Chinesen zu bestätigen. An anderen Orten der Welt, egal ob in einer französischen oder amerikanischen Universitätsstadt, würde eine solche Veranstaltung in einem Seminarraum vor drei Dutzend Studenten stattfinden. Schließlich gab es hier keine flammenden Nobelpreisträger zu bewundern, die streitbereit ihre Prognose über die Zukunft der Welt zum Besten geben und den Weltpolitikern die Leviten lesen würden, sondern ein paar hinter ihrer angedichteten Bedeutung völlig unmaßgebliche Autoren. Nicht besonders öffentlichkeitsgeeignet, wie Literaten meist sind, sollten wir auf einem Podium brav die Eindrücke unserer Stadtbesichtigung resümieren.
    In Schanghai ist der Hörsaal fast so groß wie der Platz des Himmlischen Friedens in Peking (behaupte ich, an Superlative mittlerweile gewöhnt) und mit Hunderten von Studenten dicht gefüllt. Man ahnt förmlich, wie viele Unglückliche keinen Platz mehr fanden, dem Gespräch der bedeutenden deutschen Verfasser zu lauschen. Hier mußte keiner zur Teilnahme überredet oder gar gezwungen werden. Hunderte von interessierten Gesichtern. Oder geht es den Studenten wie uns? Sehen sie vor allem deswegen so interessiert und konzentriert aus, weil sie versuchen zu verstehen, was wir sagen? Wir reden das, was auf allen Podien der Welt geredet wird: harmlosen, höflichen, überflüssigen Stuß - hier über die Verschiedenheit unserer Kulturen. Was der Übersetzer daraus macht, wissen wir nicht. Gibt er noch einen Schuß Bedeutung und noch ein paar Superlative hinzu? Oder verwischt er das bißchen Sinn völlig? Nachher darf gefragt werden. Hunderte von Wortmeldungen. Traum und Albtraum aller Veranstalter. Eine Studentin setzt sich durch. Was für ein Bild für den Lerneifer dieser Jugend! Wie sie da aufsteht inmitten all der sitzenden, gebannt lauschenden Kommilitonen und ins hingehaltene Mikrophon spricht. Warum wird es nicht übersetzt? War es Regimekritik? War es unhöfliche Kritik am Westen? Nein, es war Deutsch, wir haben es erst nur nicht verstanden, es klang so chinesisch. Noch einmal bitte. Wi Che I Che Dun Kel In Kep Ten Blu Bel. Nach langer Beratung und Mithilfe anderer Studenten kommt heraus: Die Studentin teilt mit, daß sie in dem Kinderbuch »Käpt’n Blaubär« den Satz gefunden hat: »Wissen ist dunkel.« Wir verstanden dann aber noch lange nicht, was sie von uns wissen wollte. Wollte sie sagen, daß sie in diesem Buch eine fernöstliche Weisheit entdeckt hat, wie sie im Abendland selten zu finden ist? Oder wollte sie einfach nur darauf hinweisen, daß sie ein bedeutendes Buch der deutschen Kultur gelesen hat? Nächste Frage bitte.
    Es gibt verschiedene Möglichkeiten für einen Schriftsteller, mit einem solchen monströsen Ereignis fertig zu werden. Will man seinem durch ständige Beleidigungen ramponierten Autoren-Ego einen Gefallen tun, kann man es so ähnlich sehen wie das chinesische Staatsfernsehen: Die chronische Bedeutungslosigkeit der Literatur ist nur eine üble Nachrede. In Wahrheit und in Wirklichkeit stoßen Literatur und Kulturaustausch auf breite öffentliche Aufnahmebereitschaft. Die Bilder beweisen das. Man fährt nach Hause, zeigt Fotos und sagt: Überwältigend diese Begeisterung der hellwachen Chinesen für unsere Kultur. Zweitausend, ach was, dreitausend Studenten hingen an unseren Lippen. Die Reise war ein voller Erfolg. Aber hallo! Man kann, wenn auch holprig, eine Kulturhymne singen: Brüder hört das Signal / und keiner vergesse: / Kultur ist international / von kolossalem Interesse. Wer als Autor ein Aufmerksamkeitsdefizit verspürt, für den mag diese Lüge verlockend sein.
    Oder man sagt sich die Wahrheit, die hier gratis zu greifen ist: Kulturmanager können besser bluffen als Pokerspieler. Bei dem Eventhunger der Menschen kriegt man mit der richtigen PR sogar in Sachen Kultur Tausende auf die Beine, kann aus Mücken Mammuts machen, dem Bedeutungslosen einen Sinn geben, und keiner gesteht es sich ein. Diese Erkenntnis aber kann man auch zu Hause haben. Nachrichten von ausverkauften Konzerten miserabler Popsänger oder stundenlange

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