Aus dem Leben eines Lohnschreibers
Deutschlands tiefstem See zu versenken: dem Königssee. Vorher den Boulevard- und Regionalzeitungen Bescheid sagen. »Verzweifelter Autor« trennt sich anläßlich seines Geburtstags von unverkäuflicher Auflage. Naturschützer protestieren gegen das ungenehmigte Verklappen. Dazu coole Interviews geben: Nicht das Schreiben von Büchern sei die Kunst, sondern das Loswerden.
Als ich 60 wurde, überlegte ich, mit ein paar Freunden die Bücher auf den Monte Rosa zu schleppen und sie dort oben in einer Gletscherspalte in einem wetterfesten Aluminiumsarg zu verstauen und zu verkünden: Wer ein Exemplar haben will, kann es sich auf 4444 Meter abholen. Dann habe ich den Aufwand berechnet. Auch dem besten Freund kann man auf einer so anstrengenden Bergtour nicht mehr ein zusätzliches Gewicht von fünf Kilo zumuten. Das sind gerade mal zehn Bücher. Um 1000 Bücher hochzuschaffen, bräuchte ich 100 gut trainierte Helfer.
Im Frühjahr 2007 war plötzlich ein Happy-End in Sicht. Der Student, der vor 19 Jahren in der »Süddeutschen Zeitung« an »Sinecure« herumnörgelte, Lutz Hagestedt, ist Professor in Rostock. Er kennt einen Herrn, der in Mecklenburg-Vorpommern ein schloßartiges Gutsgebäude erworben und wieder hergestellt hat. Gerd Schäfer. Der kommt aus Düsseldorf. Rechtsanwalt mit Sinn für Kunst. Ein Sammler. Er öffnet sein prächtiges Haus für kulturelle Veranstaltungen. Er hat Platz. Er wird 1000 Exemplare von »Sinecure« bei sich unterstellen. Mein Buchentsorgungsmäzen. Kann sein, daß ein großes Foto von Andreas Gursky dafür etwas zur Seite gehängt werden muß. Aber 1000 gleiche Bücher sehen ja auch nicht schlecht aus. Ein spezielles Regal wurde erdacht. Jedes Exemplar sollte in einem eigenen schmalen Fach stehen. Keinem Buch wurde je eine solche Ehre zuteil. Nach fast 20 Jahren Lagerlebens würden meine 1000 Schönheiten in ihr verdientes Märchenschloß kommen. Und zwar nicht, um dort wie Dornröschen herumzuschlafen, sondern um entnommen zu werden. Das Ganze würde als Entsorgungskonzeptkunstwerk deklariert werden. Als Autor dieses Buches hatte ich versagt, als für seine unkonventionelle Entsorgung zuständiger Konzeptkünstler würde ich nun erfolgreich sein.
Die ahnungslosen Leser! Sie hatten mein Buch einst nicht kaufen wollen, nun konnten sie es geschenkt haben! Wer sich dafür interessierte, mußte nicht einmal wie im Märchen einen Drachen töten, auch keine Denksportaufgabe lösen und die richtige Antwort ankreuzen. Er mußte nur eine Reise gen Norden und Osten antreten, einige Alleen durchfahren, bis er schließlich vor einem zunächst verschlossenen Tor stehen würde. Landsdorf. Dahinter ist mein Buch zu holen. Ein Blick ins Telefonbuch, eine Anfrage bei Google genügt. Es sollte ihm aufgetan werden. Wer ein Exemplar entnimmt, wird gebeten, in das leere Fach einen Ersatzgegenstand zu stellen, damit sich mit der Zeit in ein Quodlibet verwandelt. Zuneigungsbotschaften willkommen, materielle Kostbarkeiten auch. Ein Interessent, der von dem Plan erfuhr, kündigte an, das ihm peinliche Bundesverdienstkreuz als Gegengabe dort abzulegen. Ein sich wandelndes Kunstwerk. Konzeptkunst. Keiner weiß, was eher abgeschmolzen sein wird: die Polkappen oder der Buch-Bestand. Oder wird nun, da meine lange verschmähten Schönheiten in all ihrem Glanz mit einem Mal als ein modernes Konzeptkunstwerk erscheinen, ein Run beginnen, und das Regal wird in Windeseile leer geräumt sein?
Die Frage ist hinfällig. Denn die perfide Wirklichkeit duldet keinen glücklichen Märchenschluß. Eine Dummheit, ein grausamer Unfall, ein gräßliches Mißgeschick hat meinem Buch auch seine späte Krönung verwehrt: Im Herbst 2007 sollten die Exemplare vom Lager der Druckerei im Allgäu an ihren feudalen Bestimmungsort in Mecklenburg-Vorpommern gebracht werden. Da stellte sich heraus: Der Bestand existierte nicht mehr. Ein Arbeiter hatte Lagerschäden entdeckt und ohne Rücksprache die komplette Auflage vernichten lassen. Fahrlässig und ahnungslos war man mit dem Zerschreddern unserer kunstvoll geplanten Entsorgung zuvorgekommen.
Mit keinem Geld der Welt ist der Schaden auszugleichen. Schuldbewußt bot die verantwortliche Druckerei einen exakten Nachdruck der vernichteten 1286 Exemplare an. Ein sinnloses Angebot, denn das Konzept war ja, über den Umweg der Zurkunsterklärung Aufmerksamkeit zu wecken und Abnehmer zu finden für ein Buch, das vorher keiner haben wollte. Ein täuschend echter Nachdruck der aufwendig
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