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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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durfte, als Rückseite in den Archiven von ein paar Fußballfans ruht und nie mehr gelesen werden wird.

Für Geld schreibe ich alles (so, wie ich es will)
    Ein Geständnis
    Einmal sollte ich an einer Tagung teilnehmen, bei der es um das Wohl und Wehe der gegenwärtigen deutschsprachigen Literatur ging. 1999 oder 2000 war das. »Freiheit für die deutsche Literatur! Können die Schriftsteller von heute noch so schreiben, wie sie wollen?« Das war die Frage und der Titel der Veranstaltung. Verschiedenartigste Autoren würden etwas zum Besten geben.
    Ich sagte zu.
    Die Tagung würde in einem schönen Schloß an dem schönen Ufer eines schönen oberbayerischen Sees stattfinden. Tutzing. Wenn es der Lauf der Dinge und des Schicksals schon so gefügt hat, daß ich kein Schloß geerbt habe - mitsamt den nötigen Millionen, es zu erhalten, so möchte ich wenigstens ab und zu einmal als Gast in den großzügigen Räumlichkeiten auf und ab gehen. Auch sollte ich zu einem Thema sprechen, zu dem ich einiges aus dem Ärmel schütteln konnte: »Für Geld schreibe ich alles!« Ein bißchen frech, mir dieses Thema zu geben. So formuliert, klang es richtig provokativ und nuttenhaft. Sollte es auch. Ich würde mich in der mir zur Verfügung stehenden Vortragsstunde schon vom Makel der Prostitution zu befreien wissen.
    Die Tagung begann mit einem Referat des Initiators Maxim Biller, in dem dieser die deutschsprachige Gegenwartsliteratur wie zu erwarten als ungenießbar beschimpfte. Sie reiße einen nicht mit, sei nicht ehrlich, nicht so grausam wie ein amerikanischer Film, nicht deutlich genug. Wo der Roman, den man zwei Mal lesen will!? Nirgends seien Feindbilder, nirgends Mut. Alles »Schlappschwanzliteratur«. Der Referent selbst war doch Autor. Das fand ich mutig.
    Ein spöttischer Zwischenruf angesichts der hybriden Postulate wäre schon angebracht gewesen. »Dein Buch ist natürlich viel besser!« hätte einer höhnen sollen. Dazu müßte man es allerdings gelesen haben. Und wenn es eine schriftstellerische Berufsdeformation gibt, dann die, daß Autoren nur eine sehr vage Kenntnis der Bücher ihrer Kollegen haben. Das Nichtkennen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ist vermutlich einer der Hauptgründe, sie zu verdammen.
    Dutzende Autoren im Auditorium, die alle nicht protestierten. Na gut, ich protestierte auch nicht. Aber ich bemühte mich wenigstens, nicht so schuldbewußt-begossen-beipflichtend dreinzuschauen wie die meisten Kollegen. (Jahre später, im November 2007, ist im Internet-Tagebuch »Klage« von Rainald Goetz zu lesen, wie ihm diese Vorwürfe des Kollegen an die Nieren oder zu Herzen gegangen sind und seine Romanschreibeunlust befördert haben: »Tutzing war aber wirklich ein absoluter Rammbock in die Grundfesten meines bis dahin trotz allem irgendwie ungebrochenen Weltvertrauens.« Erstaunliche Empfindlichkeit. Die Lust am Romanschreiben vergeht mir auch manchmal, aber nicht, wenn Autorenkollegen Thesen aufstellen, sondern immer nur, wenn Kritiker wieder einmal meine Qualitäten nicht entdecken oder Amazon-Kunden es originell finden, mein Buch zum Abstützen wackelnder Tische zu empfehlen.)
    Maxim Billers Vorwürfe gingen mich nichts an. Ich fand, daß ich genau die Romane schrieb, die er vermißte. Nur war das weder ihm noch den anderen aufgefallen. Am nächsten Vormittag war ich mit meinem Vortrag an der Reihe.
    Der Abend endete in den Salons des Schlosses. Sehr gemütlich. Leider konnte ich ein Gespräch mit Christian Kracht über die Country-Sängerin Patsy Cline nicht zu Ende führen. Ich mußte mich bald auf mein Zimmer zurückziehen. Nicht um meinen Vortrag vorzubereiten, das würde nicht nötig sein. Ich spreche lieber frei und lasse mich treiben. Der Grund meiner Ungeselligkeit hatte damit zu tun, daß ich für Geld zwar nicht alles, aber doch sehr vieles schreiben muß. Folglich schiebe ich die Abgabetermine so weit es geht hinaus und muß oft zur Unzeit meine Sachen fertigmachen. Zwei Texte hatte ich in der Nacht noch zu schreiben. Im Herbst würde ein Buch von mir erscheinen, in dem ich Deutschland zur Abwechslung einmal lobte. Auch die deutsche Literatur nahm ich darin in Schutz, die hier in Tutzing so rabaukenhaft attackiert wurde. An diesem Wochenende war im fernen Frankfurt Vertreterkonferenz, der Verleger mußte irgend etwas Attraktives über mein Buch erzählen und brauchte morgen früh einen appetitanregenden Text. Hundert Zeilen mußte ich schreiben, damit er etwas zum Vorlesen haben

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