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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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Kroatien, hatte ich die Vision, wegen des Nationalereignisses wäre kein Mensch im Laden, nur sie allein. Endlich ins Gespräch kommen mit ihr. Es gibt Frauen, bei denen man Pluspunkte macht, wenn man sich nicht für Fußball interessiert. Doch der Laden war voller Kunden, und sie war nicht da. »Sammeln Sie Treueherzen?« Das fragt sie nie, wenn sie an der Kasse sitzt.
    Welche Filiale welcher Kette? Verrate ich nicht. Keine Lust auf Nebenbuhler. Selber suchen!
     
    Diese 3658 Zeichen erschienen genau so anderntags in der Zeitung. »Die Göttin der Filiale« war der Titel der Kolumne. Am Samstag war sie meist da, die Göttin, wirbelnd, schreitend, schwebend. Hochspannung. Ich machte mich auf den Weg. Ich würde in diesem ihrem Laden ein Exemplar der Zeitung kaufen und ihr übergeben. Am schönsten, wenn sie selbst an der Kasse säße. Dann bei ihr zahlen, den Bogen mit meiner Kolumne aus der Zeitung ziehen und ihr präsentieren: Das ist für Sie, das sind Sie! Dann diskret den Laden verlassen.
    Auch wenn sie viel zu tun haben würde, am Mittag würde sie Zeit finden, meine Hymne zu lesen. Am Nachmittag würde ich dann noch einmal vorbeikommen. Das wäre dann der entscheidende Augenblick: Würde sie mir freundlich zunicken oder würde sich ihr schönes ernstes und konzentriertes Gesicht, das ich noch lächeln sah, verfinstern, weil sie meine Hymne als Zudringlichkeit empfunden hatte? Damit mußte ich rechnen.
    Pech. Sie war nicht im Laden. Ich hielt mich unverhältnismäßig lang dort auf und kaufte unsinnige Dinge, die besagte Zeitung gleich doppelt. Sie tauchte nicht auf. Auch am Nachmittag war sie nicht da. Auch am Montag, Dienstag und Mittwoch und Donnerstag nicht. Urlaub wäre eine natürliche Erklärung für ihre Abwesenheit. Aber ich konnte den Verdacht nicht länger verdrängen, daß sie für immer verschwunden war. Denn nicht nur sie fehlte, sondern auch ihre Kolleginnen. Die hatte ich zwar so bewußt nie in Augenschein genommen, konnte mich aber doch an sie erinnern. Auch sie hatten mich erfreut, vor allem, wenn sie die Göttin bei falsch in die Kasse getippten Preisen zu Hilfe riefen und diese herbeieilte und mit ihrem Filialleiterinkassenschlüssel den Fehler, ohne zu schimpfen, geduldig korrigierte. Auch diese Mitarbeiterinnen waren verschwunden.
    Vielleicht wurde von der Zentrale aus alle paar Monate die Belegschaft komplett ausgetauscht, ein Firmenprinzip? Damit alles schön anonym bleibt, damit sich keine Bekanntschaften und Vertraulichkeiten zwischen Kunden und Geschäftspersonal entwickeln können. Wer weiß, nach welchen psychologischen Ratschlüssen die Personalpolitik in solchen Ketten funktioniert. Eines schönen Tages war die Göttin ja auch hier gewesen, genau so plötzlich war sie nun wieder weg. Welche Bösartigkeit des Zufalls, daß dies ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt geschehen mußte. Hätte ich doch die Kolumne eine Woche früher geschrieben. Dann hätte ich sie ihr übergeben können, hätte meine Abfuhr erhalten - oder das erhoffte Lächeln.
    Geprellt um die Pointe, ging ich umher, erzählte meinen Freunden und sogar meiner Familie von meinem Lob ins Leere und ließ mich bedauern, wobei sich das Mitleid meiner Frau und meiner Kinder in Grenzen hielt. Meine guten Freunde aber jammerten mit mir und rieten mir in einer seltsamen Mischung aus Spott und Neid auf meine Verliebtheit, alle Supermarkt-Filialen der Stadt abzuklappern. Dutzende von Filialen. Eine Aufgabe von Monaten. Bei Nichterfolg in den Filialen des Umlands nachforschen. Arbeit für Jahre und Jahrzehnte. Mit achtzig bin ich in Stadt und Land bekannt, und wenn ich auftauche, lalle ich meist den immer gleichen Satz vor mich hin: »Mir ist meine Göttin abhanden gekommen.« So mancher Supermarktmitarbeiter stimmt dann Schuberts »Leiermann« an: »Wunderlicher Alter, kann dich nicht mehr sehn.«
    Um dieses unglückliche Lebensende zu vermeiden, faßte ich mir ein Herz, informierte mich im Internet über die Verwaltungsstruktur der Supermarktkette und schrieb der Personalleiterin von Süddeutschland eine E-Mail, einen Hilferuf, schilderte mein Problem und bemühte mich, dabei nicht als Frauenbelästiger zu erscheinen. Ich betonte, daß ich nicht ganz so verrückt sei, wie ich mich in dem Kolumnentext beschreibe, daß ich mich also in Wirklichkeit nicht dreimal täglich zum Einkaufen in diese Filiale gehe, dies sei eine literarische Übertreibung. Ich log, daß ich überhaupt nicht mit der gesuchten Person in Kontakt treten wolle,

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