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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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Ich glaube nicht. Aber sie sah mir sofort an, daß ich ihr Verehrer war. Sie schenkte mir nicht nur das ersehnte Lächeln, sie erstrahlte ohne jede Verlegenheit und deutete mit dem Zeigefinger auf mich. Das hieß: Sie sind das! Auch ich deutete mit dem Zeigefinger auf sie. Das hieß: Hier sind Sie also wieder! Wir gingen mit ausgestreckten Zeigefingern aufeinander zu und blieben voreinander stehen. Die Zeigefinger berührten sich fast. Die Ungeniertheit des mit den Fingern aufeinander Deutens machte die Begegnung zu einer vertrauten Angelegenheit. Als würden sich zwei gute alte Freunde nach langer Zeit zufällig treffen. Eine Umarmung hätte nicht inniger sein können. Sie bog sich zu ihrer Kollegin zurück, behielt mich dabei im Blick und sagte: »Das ist der Schriftsteller, du weißt schon.« Ich sagte: »Das ist die Göttin der Filiale.« Dann wiederholten wir noch einmal, wie schon am Telefon, wechselseitig unsere Beglückung. Sie war hübsch, deswegen hatte ich sie ja verehrt, das Strahlen machte sie nun zum Heulen schön. Natürlich heulte ich nicht, sondern sagte: »Pardon, daß ich nicht Dreißig bin.« - »Kein Problem«, sagte sie. »Wie heißen Sie, wenn Sie nicht Fatima heißen«, fragte ich. Sie sprach es mir vor, sie kam mit ihrem Gesicht dabei näher, sie schürzte und rundete die Lippen, es war, als wolle sie mir das Küssen beibringen: »Tuba«, sagte sie, »Tu-ba, türkisch«. Tuba - ich sprach das Wort nach, so gut ich konnte, es klang offenbar nicht so, wie es klingen sollte. Sie wiederholte ihren Namen ein paar Mal, und ich sprach ihn so lange nach, bis sie einigermaßen mit meiner Aussprache zufrieden war. Tuba. Sie erklärte, daß man »Tuba« mit einem »g« vor dem »b« schreibt, daß aber auf dem »g« ein Häkchen ist, das den Buchstaben stumm macht, also »Tuğba«, ausgesprochen Tuba, wie das Blasinstrument. »Sie sehen eher aus wie eine Klarinette«, sagte ich. Sie war so schmal und dunkel und auch funkelnd. Ein naheliegendes Kompliment, dachte ich, vielleicht hatte sie es schon oft von deutschen Verehrern gehört. Vielleicht auch noch nie. »Danke«, sagte sie. Es war Freitag vormittag, ich mußte wieder meine Kolumne schreiben und am frühen Nachmittag abgeben, schleunigst, ich war im Druck. Ich hatte etwas über die Reize speckiger Stadtbüchereien schreiben wollen, daran war jetzt nicht mehr zu denken. Ich konnte aber nicht schon wieder eine ganze Kolumne lang meiner Göttin huldigen, obwohl ich nichts lieber getan hätte. Es fiel mir ein, daß ich vor ein paar Tagen wieder zu Hause angekommen war und daß ich auch filialleiterinmäßig zwar nicht am Ziel angekommen, aber zumindest weitergekommen war, so eilte ich zu meinem Schreibtisch und tippte Folgendes:
    Schon eine Weile stand ich entscheidungsschwach in meinem kleinen Ökoecklädchen und versuchte den Äpfeln anzusehen, wie sie schmecken. Da fragte mich die Ökoverkäuferin extrem sanft, fast mütterlich: »Gell, Sie sind noch nicht angekommen?« Erst dachte ich: Jetzt ist sie übergeschnappt. Sie schaute auch so verdächtig erleuchtet. Ich war vier Wochen in Italien gewesen und seit ein paar Tagen zurück in der Stadt. Durchaus angekommen also, und zwar wohlbehalten. Hier stand ich. Hielt sie mich für ein Gespenst?
    Ich kaufte von jeder Sorte einen Apfel, spazierte apfelessend durch den Hirschgarten und versuchte vergeblich, mir zu merken, welche Sorte fad und welche angenehm säuerlich schmeckte.
    Dabei wurde mir klar, daß die Ökofrau das mit dem Angekommensein im übertragenen Sinn gemeint haben mußte: Sie zweifelte nicht an meiner körperlichen Anwesenheit, sie wollte mir einfühlsam zu verstehen geben, daß sie mir ansah oder anzusehen glaubte: dieser Kunde ist innerlich noch woanders. Unsinn natürlich. Ich war völlig präsent. Trotzdem nett von der Verkäuferin und eigentlich ein hübscher Ausdruck: noch nicht angekommen.
    Beim nächsten Einkauf, nahm ich mir vor, würde ich ihre Sensibilität loben. Dann aber hörte ich das mit dem Angekommensein noch ein paar Mal und begriff, daß in meiner Abwesenheit ein neues Modewort entstanden war. Alles nur Geplapper also.
    Das ist ein paar Jahre her. Seitdem behauptet man von Mitmenschen, egal, ob sie auf der Ferieninsel noch blaß oder zu Hause noch braun sind, ob sie unkonzentriert in Zeitschriften blättern und nervös neben der Kappe oder sonstwo stehen, sie seien »noch nicht angekommen«, meist in einem fürsorglich-verständnisvollen Psycho-Ton. Ob allerdings auch

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