Aus dem Leben eines Lohnschreibers
fahrlässigen Stuß konnte nur ein Autor schreiben, der sich um sein Aus- und Einkommen keine Gedanken zu machen brauchte. Angemessene Bezahlung muß sein. Wenn man allerdings Glück hat, bringt einem ein Text neben dem überwiesenen Honorar auch noch ideellen Lohn - ein Mehrwert, den man nicht fordern kann, sondern der einem gelegentlich als Dreingabe geschenkt wird.
Ein Beispiel: In meiner Eigenschaft als Kolumnist der »Münchner Abendzeitung« hatte ich im Jahr 2008 für jede Wochenendausgabe 3600 Zeichen zu schreiben. Die Kolumne trug den Titel »Der Flaneur«. Ich konnte schreiben, was ich wollte, was mir beim Herumstreifen auffiel, Beobachtungen, kleine Geschichten. Ich konnte Zeiterscheinungen aller Art aufs Korn nehmen, Modernisierungen beklagen oder begrüßen oder über Schönheiten ins Schwärmen geraten.
Einmal, im Frühsommer 2008, fiel mir nicht Besseres ein, als eine junge Frau zu besingen, die im Supermarkt bei mir in der Nähe arbeitete. Ihretwegen ging ich in diesen Laden, auch wenn es dort keinen Ingwer gab, mit dem ich gern meinen Tee anschärfe. Die Ingwerwurzeln mußte ich mir dann immer in einem anderen Laden besorgen. Der Aufwand stand dafür. Ich schrieb folgendes:
Seit einiger Zeit gehe ich gern einkaufen. Wenn ich etwas vergessen habe, ziehe ich, ohne zu murren, noch einmal los. Auch wenn es regnet. »Etwas Bewegung kann mir nicht schaden«, sage ich - und weg bin ich. Der wahre Grund ist ein anderer.
Man kann sich zum Anhimmeln einen Weltstar aussuchen. Prominentenverehrung aber ist ziemlich gewöhnlich. Außergewöhnlicher ist es, die Filialleiterin eines mittelgroßen Supermarktes anzubeten. Das Wesen der Anbeterei ist ja immer die Unerreichbarkeit. Und die hat man hier auch.
Der Feminismus hat uns gelehrt, daß nichts gräßlicher ist als ein unerwünscht einer Frau nachsteigender Mann. Die Verehrung muß also perfekt getarnt sein. Man darf es nicht übertreiben mit den Einkäufen. Ich gehe zwei- bis dreimal täglich und bekomme die Göttliche im Schnitt jeden dritten Tag zu Gesicht. Damit dürfte ich noch nicht unangenehm auffallen.
Leider fragt sie nie, ob sie einem helfen kann. Also frage ich sie manchmal. Natürlich nach unverfänglichen Dingen. Kein Kinderzwieback, damit sie mich nicht für einen Opa, keine Süßigkeiten, damit sie mich nicht für vernascht hält, kein Schnaps, um nicht wie ein Alkoholiker zu wirken, der zu blöd ist, alleine seinen Stoff zu finden. Mandeln sind gut, oder Tomatenmarktuben oder eine bestimmte Käsesorte. Die Frage muß glaubhaft sein, man darf nicht als hilfloser Trottel erscheinen. Dann eilt sie schmal voran zum Regal mit wehendem weißen Kittel und deutet freundlich oder schüttelt bedauernd den Kopf. Ich weiß weder, wie sie heißt noch, wo sie herkommt. Deutsch ist sie eher nicht. Vielleicht heißt sie Fatima.
Wäre ich Filmproduzent, ich würde sofort Schillers »Jungfrau von Orleans« und Goethes »Leiden des jungen Werthers« drehen lassen und ihr Rollen anbieten. Genau so muß man sich das französische Rittermädchen oder die von Werther angeschmachtete Lotte vorstellen: jung, flink, energisch und alles fest im Griff, älteste von zehn Geschwistern und einem hinfälligen Vater, die sie allesamt ernährt, schön vor Ernst.
Neulich, kurz vor Ladenschluß lange Schlangen an den beiden Kassen. Eingekeilt mußte ich zusehen, wie meine zierliche Göttin persönlich die draußen vor dem Geschäft stehenden Sachen stapelte und mit einem unförmigen Schiebewagen in einen hinteren Lagerraum bugsierte. Dazwischen rief sie den nachfragenden Kassiererinnen Preise zu. Als die Ladung mit den Blumenerdebeuteln dran war, blieb der breite Wagen an den Stangen des Eingangs stecken. Sie rüttelte und stemmte sich heldenhaft. Nichts. Keiner der erbarmungslosen Männer vor mir nahm ihren Kampf wahr. Mein Glück. Ich quetschte mich an den Rüpeln vorbei. Die Göttliche zog aus Leibeskräften. Die Anstrengung machte sie überirdisch schön. Ich stieß und drückte und preßte die Säcke mit Blumenerde seitlich zusammen. Jetzt nur nicht versagen! Keiner sprang uns bei, wir schafften es allein. Der Wagen ging durch.
Sie nickte mir zu wie eine erschöpfte Chirurgin, der man bei der Operation das richtige Besteck gereicht hat. Ein Sekundenbruchteil professionelle Anerkennung, mehr nicht. Keine Gelegenheit, ihr jetzt schleimige Sachen zu sagen: Stellen Sie mich als Praktikanten ein, dann kann ich Ihnen öfter helfen.
Vorgestern, beim Fußballspiel gegen
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