Aus dem Leben eines Lohnschreibers
mich zwischen ihren Regalen erblickte, fühlte ich mich ertappt und schwor die Wahrheit: »Ich bin nicht hier, weil ich verrückt nach Ihnen bin, sondern weil ich Sonnenblumenkerne brauche.« - »Kein Problem, ich bin heute bis abends acht Uhr da«, sagte sie.
Manchmal übersieht sie mich, klar, man kann sich nicht ständig begeistert anlächeln. Einmal hatte ich das Gefühl, ihr etwas mitbringen zu müssen. Unser Verhältnis, das so aufregend und romantisch begonnen hatte, brauchte wieder mal einen kleinen Schub, fand ich. Ein Buch wollte ich ihr nicht geben. Diese Frau konnte ich unmöglich mit einem x-beliebigen Roman von mir belästigen, wenn, dann müßte ich ihr einen Roman zustecken, den ich ihr auf den Leib geschrieben hätte, in dem sie die Heldin wäre. »Die Filialleiterin« - warum nicht. Tuğba - ein guter Name für eine Heldin. Dreihundert Seiten über eine junge, schöne, zierlichzähe Türkin, die in Deutschland einen Laden schmeißt. Mir würde ich eine Nebenrolle gönnen. Doch, würde mir Spaß machen, meine schüchternen Avancen aus ihrem Blickwinkel zu beschreiben. Sie würde in diesem Roman einen jungen türkischen Musiker heiraten und ihren alten Verehrer zur Hochzeit nach Istanbul einladen, und der würde vor unberechtigter Eifersucht und Rührung fast wahnsinnig werden. Vielleicht sollte ich ihn nach einem etwas zu wilden Tanz mit der Braut zusammenbrechen und sterben lassen - immerhin in ihren Armen.
Vielleicht schreibe ich diesen Roman, es eilt nicht, sie ist erst dreiundzwanzig. Zu ihrem dreißigsten Geburtstag wäre das ein angemessenes Geschenk, bis dahin fällt mir vielleicht ein besseres Ende für den Verehrer ein.
So wild entschlossen, wie sie mit großen Schritten durch ihren Laden geht, müßte sie eine tolle Tänzerin sein. Neulich habe ich ihr Musik mitgebracht, ein paar CDs mit tanzbarem Jazz der 30er Jahre, ausschließlich Stücke, denen ein orientalischer Einfluß anzuhören ist. Könnte Leuten gefallen, die mit türkischer Musik aufgewachsen sind, dachte ich. Mal sehen, wie das bei ihr ankommt. Ich überlegte, ob ich als musikalische Orientierungshilfe und auch, weil ich die Gabe nicht unkommentiert lassen wollte, eine Liste mit Abspieltips dazulegen sollte. Das war mir dann zu simpel. Jeder besserwisserische Amazon-Kunde tut die seiner Meinung nach besten Stücke einer CD in naseweisen Listen aller Welt kund. Ich schrieb daher einen Begleitbrief an Tuğba, in dem ich mir nicht ohne Genuß folgendes ausmalte: Die Filiale wird am Samstag abend kurz vor Ladenschluß überfallen. Sie ist die einzige Geisel vom Personal, ich die einzige Geisel von den Kunden. Wir werden von den schwer bewaffneten Geiselnehmern nicht unfreundlich behandelt, sind aber den ganzen Sonntag eingesperrt. Wir haben einen CD-Player da und diese CDs von mir. Es ist sehr kühl, weil die Heizung ausgeschaltet ist. Tanzen macht warm. Ich muß also versuchen, sie und auch mich zum Tanzen zu bringen, schon damit wir uns nicht erkälten. Dann schrieb ich, welche Stücke ich in welcher Reihenfolge auflegen würde, um ihre göttlichen Beine in Schwung zu bringen.
Ich weiß nicht, ob sie meine literarische Phantasie mochte. Bei der nächsten Begegnung schaute sie merkwürdig durch mich hindurch. Vielleicht war sie müde, vielleicht ging ihr die Vorstellung zu weit, mit mir einen Sonntag als Geisel verbringen zu müssen.
Wenn sie nicht im Laden ist, hebe ich mir den Einkauf für später auf. Es macht keinen Spaß, meine Äpfel und die paar anderen Grundnahrungsmittel zu besorgen, wenn Göttin Tuğba nicht da ist und ich nicht ein paar Worte oder wenigstens Blicke mit ihr wechseln kann. Weil ich mich dann nicht jedesmal mit den Worten »ich habe nichts« an der Kasse vorbeidrängeln will, kaufe ich aus Verlegenheit eine Tüte Mandeln. Ich esse gern Mandeln, habe aber mittlerweile zu viele Tüten vorrätig.
Natürlich befasse ich mich jetzt auch mit türkischer Musik. Mein Lieblingslied heißt »Ah Yalan Dünyada«. Man kann es im Internet hundertfach finden, hören und sehen. Türkische Popstars in bonbonbunten Fernsehstudios singen es ebenso wie junge oder uralte Laienmusiker vor ihren ländlichen Hütten oder auf Wohnzimmersofas. Die Melodie ist so hinreißend sehnsüchtig, die Begleitung mit der langhalsigen Laute gibt dem Lied einen derartig arabisch-andalusischen Stolz und eine Widerstandskraft, daß man selbst als Vollheide für drei bis fünf Minuten mit dem Islam sympathisiert. Ich habe Tuğba gefragt,
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