Aus dem Leben eines Lohnschreibers
»Corporate-Publishing-Erzeugnis«, mit dem konsequent »das alte Prinzip des Co-Branding« verfolgt wird. Möglicherweise erwartete das Einrichtungshaus »Colombo la Famiglia« von mir eine entzückte Reportage über seine Originalität und die Ausgesuchtheit seiner Möbel und war etwas enttäuscht, daß ich nicht einmal seinen Namen erwähnte und statt dessen eine wildgewordene sizilianische Schlampe in den Mittelpunkt stellte. Die Redakteurin des Magazins konnte die Inhaber des Möbelhauses aber offenbar überzeugen, daß mit einer Schriftsteller-Geschichte mehr gedient sei als mit einer Werbetext-Lobhudelei. Diese Geschichte ist ein weiterer Beweis für die Behauptung, die in der in diesem Buch mehrfach aufgestellt wird (ausdrücklich in der Geschichte »Für Geld schreibe ich alles«): daß Lohnschreiberei alles andere als Unterwerfung bedeutet, daß ich jedenfalls für Geld zwar fast über alles schreibe - aber immer so, wie ich es will. Um die Behauptung noch anzuspitzen und die Reputation der Lohnschreiberei weiter zu verdeutlichen: Ein junger Autor, der sich mit einem Text um eine seriöse Literaturförderung bewirbt, wird sich in seinem Text den ungeschriebenen Erwartungen der Hochkultur vermutlich mehr anpassen, als ich mich als Lohnschreiber den Erwartungen meiner Auftraggeber anpasse.
Ich kann die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, ohne selbstwerbend darauf hinzuweisen, daß ich mich, auch wenn ich mein Wissen in dieser Geschichte nicht ausbreite, mit exotischen Möbeln durchaus auskenne. Und zwar nicht aus Neigung zu irgendeiner hedonistischen Wohnkultur, sondern aus literarischem Interesse. Die höchste Form der Lohnschreiberei ist der Roman. Hier gibt es zwar einen Verlag und hoffentlich Vorschuß - und also die Verpflichtung, einen Vertrag einzulösen und einen 200 oder 400 Seiten langen Text abzugeben, der in etwa dem Arbeitstitel entspricht. Schreiben aber kann ich in einem Roman nun wirklich, was ich will. Möbel und Wohnkultur interessieren mich nur mäßig, dennoch bereiste ich wochenlang mit dem Münchner Möbelhändler und Inhaber des Wohnkulturhauses »Kokon« Helmut Ronstedt und seinem famosen Assistenten Willi Indonesien und China, um in die Geheimnisse des Handels mit exotischen Möbeln eingeweiht zu werden. Warum? Weil ich für den dritten Band meiner Harry-von-Duckwitz-Roman-Trilogie einen geeigneten Beruf für meinen Helden brauchte und mir ein Handeln mit asiatischen Möbeln literarisch-dramaturgisch als geeignet erschien. Im ersten Band ist Duckwitz Diplomat (»Im diplomatischen Dienst«), im zweiten ist er suspendierter Nichtstuer und manischer Jazzhörer (»Das schöne Leben«), im dritten tut er es Helmut Ronstedt gleich (der im Roman durchsichtig Ron van Instetten heißt) und macht Möbelgeschäfte mit Fernost (»Die bösen Frauen«). Will sagen: Der Auftrag, über dies oder das zu schreiben, muß nicht immer von einer Redaktion kommen, die literarische Logik kann einem viel zwingender ein Thema vorgeben. In einem kommerziellen Lohnschreiber-Text bin ich oft freier als in meinem Roman.
Der verlorene Verstand
Unwesentlich kürzer 2001 erschienen in einem streichholzschachtel- oder gar nur brühwürfelkleinen Miniaturbüchlein, das in dem österreichischen Avantgarde-Design-Jahrbuch »Rosebud« steckte, dessen Nummer 3 dem Thema »Blindtext« gewidmet war. 25 bis 30 Tausend Zeichen sollte ich schreiben, die irgendetwas mit dem Grafiker-Wort »Blindtext« zu tun haben sollten. Blindtexte dienen der Gestaltung des Layout ehe die richtigen Texte fertig sind inhaltlich meist unsinnig. Zur Unsinnigkeit fiel mir sofort ein, was ich gerade erlebt hatte. Die Geschichte mit dem allmählichen Verfassen und Modifizieren und schließlich Liquidieren von Moderationstexten war mir kurz zuvor so passiert, wie es hier geschrieben steht. Es handelte sich um die Verleihung des Bayerischen Fernsehpreises für diverse Produktionen im ehrwürdigen Münchner Prinzregententheater, live übertragen vom Bayerischen Fernsehen. Noch nie zuvor oder danach in meinem Leben habe ich solchen Unsinn geschrieben, der dann immer noch unsinniger gemacht werden mußte. Hier stimmt meine stolze Behauptung nicht: Für Geld schreibe ich fast alles - aber immer so, wie ich es will. Hier mußte ich für 15 Tausend Mark wirklich verbale Drecksarbeit tun. - Unwahr ist das Lederrockmädchen in der Geschichte, das meinen Verstand zusätzlich umnebelt. Diese tolle Person ist zu einem anderen Zeitpunkt durch mein Leben
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