Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers
der ersten Schachtel hätte ich mich daran gewöhnt und das Rauchen würde mir zur Selbstverständlichkeit werden. Das erschien mir blödsinnig. Wieso sollte ich eine Schachtel lang husten, mein erstes Bier hatte mir ja auch sofort geschmeckt, und die erhoffte Wirkung stellte sich schon beim zweiten ein. So gab ich das Rauchen auf, bevor ich damit angefangen hatte, was ja nun besonders albern war. Ein ganz kleiner Rest von Raucher ist aber dennoch in mir geblieben. Ich ertappe mich manchmal in Situationen, in denen ich mich cool und unbeobachtet fühle, wie ich zwei Finger zum Mund führe, meinen Lippen eine unsichtbare Zigarette entnehme und deren unsichtbaren Rauch lange und genussvoll in den Raum blase, wobei ich leicht nachdenklich, aber überlegen in unsichtbare Fernen blicke. Das passiert fast immer im Auto, während im Radio Rauchermelodien wie »Ricky don’t loose that number« von Steely Dan oder »Oye como va« von Santana laufen. Es sind höchstens zwei oder drei Züge, die ich da nehme, dann bemerke ich die Frau im Auto neben mir, die mich schon missbilligend beobachtet, und ich lasse die unsichtbare Zigarette im Fahrgastraum verschwinden. Mein Auto ist voll von diesen unsichtbaren Dingern. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie man diese Manie nennen soll, wahrscheinlich ist es so etwas wie Trockenrauchen. Und wahrscheinlich wird das auch bald verboten. Kneipen müssen extra Räume für Trockenraucher einrichten, und wenn man sich ein unsichtbares Päckchen Trockenzigaretten kauft, steht darauf: »Vorsicht! Trockenrauchen führt zum Verlust Ihrer Würde und macht Sie gesellschaftlich unmöglich.«
2010
März
Wir sind die Stichpiraten
Leider wird es bald wieder wärmer, denn das verleitet Menschen dazu, sich Kleidungsstücke anzuziehen, die viele Stellen ihres Körpers unbedeckt lassen. Vor allem die Stellen, die sie für viel Geld beschriften ließen in Läden mit Namen wie »Pretty in Ink«, »Stichpiraten« oder »Tatoo for you«. Besonders gelungen finde ich das »Sunshine und Tattoostudio«, wo man sich gleichzeitig bräunen und bläuen lassen kann. Früher waren nur Matrosen und Insassen von Strafanstalten tätowiert. In meiner Jugend kannte ich nur einen Tätowierten, und der war obdachlos und saß vor Karstadt. Deshalb dachte ich lange Zeit, eine Tätowierung sei so etwas wie eine Behinderung, wegen der man nicht arbeiten könne. Heute ist die Mehrheit der Deutschen tätowiert, obwohl es doch gar nicht so viele Arbeitsplätze für Matrosen geben kann. Aus Rollkragenpullovern züngeln auftätowierte Flammen am Hals ganz normal aussehender Damen empor, deren oberer Steißbereich außerdem mit verschwenderischen Ornamenten geschmückt ist. Chinesische Schriftzeichen verzieren Ober- und Unterarme, Bilder in der Manier flämischer Meister bedecken die Waden junger Männer. Selbst ein völlig untätowiert wirkender Körper ist heutzutage wahrscheinlich nur eine besonders kunstvolle Form der Tätowierung. Jedes Jahr lässt Angelina Jolie eine neue Tätowierung auf ihrem Körper anbringen. Überschüssige Tinte lässt sie sich dann in die Lippen füllen. Angelina Jolie gilt als Schauspielerin, für sie ist es wahrscheinlich wichtig, ihre einzelnen Körperteile zu beschriften, damit sie sie voneinander unterscheiden kann.
Ich hatte eigentlich schon diese schalen Witze über das Tätowieren aus meinem Gedächtnis verdrängt, als ich vor einigen Monaten in allen Tageszeitungen gleichzeitig mit einem erschreckenden Bild konfrontiert wurde. Es zeigte Campino, den üppig tätowierten Sänger der Toten Hosen, wie er sich an einem Fotoapparat festhält. Der Regisseur Wim Wenders hatte ihm gesagt, er solle für die Dauer des Films »The Palermo Shooting« so tun, als ob er ein Fotograf wäre, und man sieht es Campino deutlich an, dass er den ganzen Film angestrengt darüber nachdenkt, was man als Fotograf wohl für ein Gesicht machen muss. Weil er damit schon genug zu tun hatte, konnte er sich nicht auch noch seinen ganzen Text merken, und hat ihn sich einfach auftätowieren lassen und zwar in Geheimschrift. Sonst wüssten die Zuschauer ja immer schon, was er sagen wird.
Es ist bestimmt ein Vorurteil, aber ich traue niemandem, der sich den Körper beschriften lässt, und deshalb könnte ich mir diesen Film auch niemals ansehen. Meinen Kindern habe ich frühzeitig verboten, sich tätowieren zu lassen, wenn sie es doch tun, habe ich ihnen gesagt, würde ich sie enterben. Pathetisch rief ich aus: »Ihr seid mir
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