Aus dem Leben eines Taugenichts - Erzaehlungen
an seiner Halsbinde und fing dann auf einmal
an, eine Rede an mich zu halten. «Geliebter Zuhörer und Landsmann!» sagte er, «da die Flaschen beinahe leer sind und die Moral
unstreitig die erste Bürgerpflicht ist, wenn die Tugenden auf die Neige gehen, so fühle ich mich aus landsmännlicher Sympathie
getrieben, dir einige Moralität zu Gemüte zu führen. – Man könnte zwar meinen», fuhr er fort, «du seist ein bloßer Jüngling,
während doch dein Frack über seine besten Jahre hinaus ist; man könnte vielleicht annehmen, du habest vorhin wunderliche Sprünge
gemacht wie ein Satyr; ja, einige möchten wohl behaupten, du seiest wohl gar ein Landstreicher, weil du hier auf dem Lande
bist und die Geige streichst; aber ich kehre mich an solche oberflächlichen Urteile nicht, ich halte mich an deine feingespitzte
Nase, ich halte dich für ein vazierendes Genie.» – Mich ärgerten die verfänglichen Redensarten, ich wollte ihm soeben recht
antworten. Aber er ließ mich nicht zu Worte kommen. «Siehst du», sagte er, «wie du dich schon aufblähst von dem bißchen Lobe.
Gehe in dich und bedenke dies gefährliche Metier! Wir Genies – denn ich bin auch eins – machen uns aus der Welt ebensowenig,
als sie sich aus uns, wir schreiten vielmehr ohne besondere Umstände in unseren Siebenmeilenstiefeln , die wir bald mit auf
die Welt bringen, gerade auf die Ewigkeit los. Oh, höchst klägliche, unbequeme, breitgespreizte Position, mit dem einen Beine
in der Zukunft, wo nichts als Morgenrot und zukünftige Kindergesichter dazwischen, mit dem andern Beine noch mitten in Rom
auf der Piazza del Popolo, wo das ganze Säkulum bei der guten Gelegenheit mit will und sich an den Stiefel hängt, daß sie
einem das Bein ausreißen möchten! Und alle das Zucken, Weintrinken und Hungerleiden lediglich für die unsterbliche Ewigkeit!
Und siehe meinen Herrn Kollegen dort auf der Bank, der gleichfalls ein Genie ist; ihm wird die Zeit schon zu lang, was wird er erst in der Ewigkeit anfangen?! Ja, hochgeschätzter Herr Kollege, du und ich und die Sonne, wir
sind heute früh zusammen aufgegangen und haben den ganzen Tag gebrütet und gemalt, und es war alles schön – und nun fährt
die schläfrige Nacht mit ihrem Pelzärmel über die Welt und hat alle Farben verwischt.» Er sprach noch immerfort und war dabei
mit seinen verwirrten Haaren von dem Tanzen und Trinken im Mondschein ganz leichenblaß anzusehen.
Mir aber graute schon lange vor ihm und seinem wilden Gerede, und als er sich nun förmlich zu dem schlafenden Maler herumwandle,
benutzte ich die Gelegenheit, schlich, ohne daß er es bemerkte, um den Tisch aus dem Garten heraus und stieg, allein und fröhlich
im Herzen, an dem Rebengeländer in das weite, vom Mondschein beglänzte Tal hinunter.
Von der Stadt her schlugen die Uhren zehn. Hinter mir hörte ich durch die stille Nacht noch einzelne Gitarrenklänge und manchmal
die Stimmen der beiden Maler, die nun auch nach Hause gingen, von fern herüberschallen. Ich lief daher so schnell als ich
nur konnte, damit sie mich nicht weiter ausfragen sollten.
Am Tore bog ich sogleich rechts in die Straße ein und ging mit klopfendem Herzen eilig zwischen den stillen Häusern und Gärten
fort. Aber wie erstaunte ich, als ich da auf einmal auf dem Platze mit dem Springbrunnen herauskam, den ich heute am Tage
gar nicht hatte finden können. Da stand das einsame Gartenhaus wieder, im prächtigsten Mondschein, und auch die schöne Frau
sang im Garten wieder dasselbe italienische Lied, wie gestern abend. – Ich rannte voller Entzücken erst an die kleine Tür,
dann an die Haustür und endlich mit aller Gewalt an das große Gartentor, aber es war alles verschlossen. Nun fiel mir erst
ein, daß es noch nicht elf geschlagen hatte. Ich ärgerte mich über die langsame Zeit, aber über das Gartentor klettern, wie
gestern, mochte ich wegen der guten Lebensart nicht. Ich ging daher ein Weilchen auf dem einsamen Platze auf und ab und setzte
mich endlich wieder auf den steinernen Brunnen voller Gedanken und stiller Erwartung hin.
Die Sterne funkelten am Himmel, auf dem Platze war alles leer und still, ich hörte voll Vergnügen dem Gesange der schönen
Frau zu, der zwischen dem Rauschen des Brunnens aus dem Garten herüberklang. Da erblickt ich auf einmal eine weiße Gestalt,
die von der anderen Seite des Platzes herkam und gerade auf die kleine Gartentür zuging. Ich blickte durch den
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