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Aus dem Nichts ein neues Leben

Aus dem Nichts ein neues Leben

Titel: Aus dem Nichts ein neues Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kahl. Erna Kurowski stand hinter den hohen Fenstertüren der Terrasse und starrte in die Nacht. Sie hatte die Gartenscheinwerfer angestellt … hell beleuchteten sie die Buschgruppen und Blumenbeete und den kleinen runden Springbrunnen. Erna Kurowski wollte sich schon wieder abwenden, als sie den Mann durch den Garten kommen sah. Den Hut tief im Gesicht, den Kragen des Wettermantels hoch geschlagen, die Hände in den Taschen, so stapfte er durch die Buschgruppen und stieg die Treppe zur Terrasse hinauf.
    Sie schrie auf, aber es war kein Entsetzensschrei, sondern ein Mischung aus Erlösung und wild hervorbrechender Freude. Sie riß an dem Riegel der Tür, bekam sie nicht so schnell auf, wie sie wollte, irgend etwas klemmte … da griff sie hinter sich, nahm einen Stuhl und schleuderte ihn in die große Scheibe. Der Wind trieb die Gardine durch das Loch und riß sie fast von der Stange, und dann kletterte der von Nässe triefende Mann durch die Fenstertrümmer und stand im Zimmer. Er nahm seinen Hut, behielt ihn wie ein Bettler in den Händen, und es war eigentlich wie damals, als Ewald Kurowski plötzlich vor der Tür stand, in seinem alten Militärzeug, den Staub Sibiriens noch in den Falten. Er stand genauso elend da, genauso durchnäßt, genauso stumm, genauso heimgekehrt …
    »Komm rein, Ewald …«, sagte Erna mit brüchiger Stimme. »Mein Gott, wie siehst du aus! Ich habe gar keinen Wagen gehört.«
    »Ich bin mit dem Taxi bis unten an den Abzweig gefahren und dann zu Fuß gekommen. Bist du allein?«
    »Ja, Ewald.«
    »Ich … ich …« Er sah sich um, in seinem Rücken pfiff der Wind durch die zertrümmerte Scheibe, der Regen wurde hineingepeitscht. »Der Teppich wird naß, Erna …«
    »Geh rauf und zieh dich um!« Das Sprechen fiel ihr schwer, ihr Herz klopfte wie bei einem jungen Mädchen, das sich verliebt hat. »Soll ich dir Tee mit Rum machen?«
    »Das wäre schön, Erna.«
    Kurowski sah sie an. Augen eines bettelnden Hundes. »Ich habe das Taxi für eine Stunde später wiederbestellt.«
    »Frisch gebadet lasse ich dich nicht in dieses Wetter hinaus!«
    »Danke, Erna.« Er lächelte verlegen. Was wäre ich ohne diese Frau, dachte er. Mein Gott, wohin wäre ich gekommen? Diese Wochen allein, in den Hotels, in den Bierstuben, jeden Abend betrunken, es war schrecklich. Ich habe gebüßt, Erna, glaube es mir … »Wo sind die Kinder?« fragte er.
    »Bei Freunden.«
    »Man hat dich ganz allein gelassen?« Er ging auf sie zu, legte zaghaft den Arm um sie und wagte nicht, sie an sich heranzuziehen. »Du sollst nie wieder allein sein, Erna …«, sagte er mit schwankender Stimme. »Nie mehr. Glaub es mir …«
    »Zieh dich um, Ewald …« Über ihr Gesicht zuckte es. Gleich muß ich weinen, dachte sie, aber das will ich nicht. Er muß seinen Tee mit Rum haben, gegen Erkältungen ist er besonders anfällig. »Leg dich ins Bett«, sagte sie und weinte nun doch. »Es war immer für dich bereit … Ich komme gleich nach, mit dem Tee …«
    Die Familie Kurowski brach nicht auseinander … oder soll man sagen, noch nicht? Auch bei den Kurowskis wuchs eine neue Generation heran, und sie sah das Leben anders als die Kriegsgeneration.
    Es fing damit an, daß eines Tages Peter, der zweite Sohn, mit engen Nietenhosen und schwarzer, glänzender Lederjacke von der Schule nach Hause kam und um den Hals das Ritterkreuz trug. Er kam ins Haus, grinste seine Mutter an, warf sich Kurowski gegenüber in einen Sessel und knallte die Stiefel auf den Couchtisch.

18
    Eine Weile blieb es still im Zimmer. Erna war an der Tür stehengeblieben, sie verstand das alles nicht, sie kannte ihren Sohn nicht wieder, irgendwie war plötzlich eine Ordnung durchbrochen, auf der die Familie Kurowski ihr ganzes Leben aufgebaut hatte.
    Über Ewalds Ausflug in fremde Liebesgärten war nicht mehr gesprochen worden. Es wäre auch grundfalsch gewesen. Er war zurückgekommen, hatte alle seine Plätze eingenommen, als kehre er von einer Reise zurück, auch Ludwig, der jetzt als cand. med. kaum noch nach Hause kam, sondern seine medizinischen Fächer durchpaukte mit dem Ehrgeiz, sein Examen mit ›sehr gut‹ zu absolvieren, hatte nur gesagt: »Es tut mir leid, Vater!«, und Kurowski hatte ebenso einfach geantwortet: »Schon gut, Junge. Irgendwann können wir das mal aufrechnen, das Leben ist noch lang und voller Geheimnisse …«, es war also alles wieder in den normalen Gleisen, kein Wagen hüpfte mehr neben den Schienen … da kam Peter mit seiner

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