Aus dem Nichts ein neues Leben
Lederuniform und demonstrierte das, was seine Generation Unabhängigkeit nannte.
»Das findest du schön?« fragte Kurowski endlich nach langem Schweigen. Seine Ruhe war gefährlich. Erna kannte das, nur Peter, sein Sohn, begriff es nicht. Er nickte deshalb und sagte laut: »Ich hasse alles, was bürgerlich ist.«
»Auf einmal.«
»Immer schon –«
»Bis heute hast du vom bürgerlichen Tisch gefressen und getrunken, bist eingekleidet worden und hast große Haufen geschissen!« Kurowski beugte sich vor. »Das ist doch wohl die Sprache, die ihr versteht?«
»Wer Kinder zeugt, hat die Pflicht, sie zu ernähren«, sagte Peter.
»Und er hat die Pflicht, sie zu erziehen. Ich glaube, ich habe mich da einer Pflichtverletzung schuldig gemacht.«
Mit einem Ruck riß Kurowski das Ritterkreuz von Peters Hals, faßte es an dem schwarz-weiß-roten Band und schlug es ihm viermal ins Gesicht. »Es ist scharfkantig!« sagte er dabei. »Spürst du's? Schade, daß du nicht blutest. Denn dieses Ding da hat Blut gekostet, viel Blut! Unschuldiges Blut! Jeder, der den Krieg haßt, hat das Recht, es zu verfluchen … aber es gehört nicht unter einen Kopf mit Scheiße statt Gehirn! Dazu ist es immer noch zu schade! Begriffen?!«
»Und wie!« Peter war aufgesprungen. Er wirkte in seiner Lederkluft dürr und groß. »Sie haben recht –«
»Wer hat recht?«
»Meine Kameraden. Ich habe einen reaktionären Vater …«
»Peter!« rief Erna entsetzt von der Tür. »Du weißt nicht, was du sagst. Bist du verrückt geworden?«
»Halt dich da raus, Mutter. Bitte.« Peter zog den Kopf ein. Kurowski war aufgestanden, langsam, als mache es ihm Mühe, aus dem tiefen Sessel zu kommen. »Das verstehst du nicht. Das ist eine grundsätzliche Diskussion.«
»Nein« – sagte Kurowski – »deine Mutter versteht das nicht. Sie hat euch nur wochenlang durch die russischen Regimenter gefahren, über das vereiste Haff, in einem offenen Bauernwagen, unter Tieffliegerbeschuß, sie hat euch nur das Leben gerettet und in der schwersten Zeit geschuftet von Tag bis Nacht, um euch satt zu kriegen, sie hat nur ihr ganzes Leben lang für euch gelebt … aber das versteht sie nicht …«
»Mein Gott, wie lange sollen wir das noch hören?« Peter steckte die Hände in die Hosentaschen. »Scheißkrieg, Flucht aus Ostpreußen, Hungerzeit, Wirtschaftswunder, ihr Helden des Wiederaufbaus … es ist zum Kotzen! Merkt ihr denn nicht, wie ihr euch selbst überlebt? Wie ihr euch lächerlich macht mit euren: Früher – früher – früher – Heute ist wichtig, und morgen ist wichtig, und da versagt ihr alle! Wer will denn noch wissen, daß du in Sibirien warst?! Wen interessiert es, daß du in der Taiga Holz geschnitten hast? Glaubst du, du imponierst unserer Generation damit, daß ihr euch Hemden aus Futtersäcken genäht habt? Ihr wart doch selber schuld! Ihr habt doch diesen Hitler gewählt! Ihr habt doch alle ›Führer befiehl – wir folgen dir!‹ gebrüllt, wie die Verrückten wart ihr alle … und dann jammert ihr hundert Jahre lang, wenn ihr die Rechnung bezahlen müßt …«
»Bist du fertig?« fragte Kurowski leise.
»Das war nur die erste Runde.«
»Und es war auch die letzte.«
»Meinst du?«
»Sicher.« Kurowski ging um den Tisch herum. Erna legte die Hände zusammen, als wolle sie beten. »Laß ihn, Ewald –«, sagte sie flehend. »Er weiß doch gar nicht, was er sagt. Er plappert doch bloß nach.«
»Irrtum. Ich weiß genau, was ich sage!« schrie Peter. »Und ich weiß auch im voraus, was dieser reiche Mann da, der mein Vater ist, sagen wird: Wir haben alles nur für euch getan! Für eine bessere Zeit! Wie mich das ankotzt! Ihr habt gearbeitet und gearbeitet und Geld geschaufelt und große Töne von euch gegeben … aber wer hat sich um uns gekümmert? Wenn man eine Beatplatte spielte, hieß es sofort: Stell die Negermusik ab! Wenn man sich die Haare wachsen ließ, wurde man angeblafft: Du siehst aus wie ein Landstreicher. Wenn ich Freunde mitbrachte, wurde mit dämlichem Grinsen gefragt: Haben die sich auch gewaschen? Und über Politik zu sprechen, ist in diesem Haus ein Verbrechen, obwohl Franz Busko MdB ist und mit jeder Rede seine Wähler betrügt. Gibt es Verlogeneres als eure Welt?«
»Aber ihr lebt recht gut in ihr!« Kurowski warf das abgerissene Ritterkreuz auf den Boden. Als Peter sich schnell bückte, stellte er den Fuß darauf. »Zieh die dämlichen Klamotten aus, Peter!«
Peter zuckte hoch. »Nein!« sagte er
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