Aus dem Nichts ein neues Leben
dich zu unternehmen«, sagte Kurowski mit eisiger Ruhe. »Vor ein paar Wochen, ja, da hat mich die plötzliche Erkenntnis, was für einen Sohn ich habe, umgehauen. Aber heute … man gewöhnt sich an alles, auch an einen Sohn, der ein Idiot ist!«
Das war eine Lüge, aber wer erkannte das? Seit Wochen lief Kurowski verändert herum, war in sich gekrochen, stiller geworden, besuchte keine Vereinsabende mehr, mied den Kegelclub, die Reitergesellschaft, den exklusiven Golfclub, den Tennisverein Rot-Gold … er saß immer nur zu Hause in seinem wunderbaren Landsitz, spazierte durch den parkähnlichen Garten und freute sich, wenn Ludwig aus Köln herüberkam und ihm von seinem Studium erzählte, oder Inge ihre Klassenarbeiten durchschnittlich mit ›gut‹ machte. Jeder sah, daß er unter Peters Weggang litt, aber keiner sprach ihn darauf an … ein Kurowski braucht kein Mitleid, er beißt sich von selbst durch.
»Na also!« sagte Peter jetzt frech. »Was willst du dann hier? Mir den besten Rechtsanwalt ankündigen? Ich brauche keinen Anwalt … ich spucke dem Gericht ins Gesicht.«
»Der neue Stil der neuen guten Zeit!« Kurowski legte die Hände aneinander. »Von Mutter kann ich dich nicht grüßen …« sagte er dann langsam.
Peter's Kopf drehte sich verwundert. »Ist sie verreist?«
»Ja. Ins Krankenhaus. Vor einer Stunde habe ich sie hingebracht. Sie hat einen Nervenschock erlitten. Sie fand die Show, wie man ihren Sohn auf der Straße zusammenschlug, gar nicht interessant. Frauen – vor allem Mütter – haben da ihren eigenen Geschmack …«
Peter Kurowski setzte sich schwer. Er schluckte krampfhaft, seine staubtrockene Kehle brannte. Wasser, dachte er. Einen Schluck Wasser. Oder einen ›Schuß‹, nur einen halben ›Schuß‹, das genügt. Leute, ich gehe ja ein … Er griff nach der Wasserkaraffe, die zwischen ihm und seinem Vater stand, verzichtete auf das Glas und setzte sie einfach an die Lippen.
»Ist … ist es schlimm?« fragte er, als er die Karaffe abgesetzt hatte.
»Ja. Du säufst wie ein Schwein.«
»Mit Mutter!« schrie Peter.
»Sie hat dich – wie alle ihre Kinder – maßlos geliebt. So wie sie können nur Mütter zusammenbrechen.«
»Ich möchte zu ihr …«, sagte Peter leise.
»Das wird unmöglich sein …«
»Hol den besten Anwalt, Vater …«
»Versuch's doch mit dem Anspucken des Gerichtes …«
»Es gibt die Möglichkeit der Haftverschonung.«
»Nur bei einem festen Wohnsitz. Du bist ein Landstreicher geworden.«
»Ich wohne bei dir, Vater … Ich muß zu Mutter …«
Kurowski erhob sich. Er ist am Boden, dachte er. Jetzt soll man ihn nicht mehr treten. Vielleicht gelingt es Erna, ihn zurückzuholen. Er müßte kein Herz mehr haben, wenn er den Anblick Ernas ertragen könnte, wie sie jetzt im Krankenhaus liegt. Ich kann es nicht … um diese Frau zu retten, würde ich sogar meinen Sohn opfern!
»Wir wollen sehen …«, sagte er und ging zur Tür. Peter sprang auf, aber die starke Hand des Wachtmeisters hielt ihn zurück.
»Laß mich zu Mutter …«, heulte Peter.
Kurowski zuckte zusammen und hob die Schultern. Er fror. So heult ein Wolf, dachte er. Mein Gott, ist mein Sohn schon so weit vom Menschen weg …?
Ohne eine Antwort ging er hinaus, aber erst draußen, auf dem Flur, bewies er, daß auch ein Kurowski nicht eine unfällbare Eiche ist … er lehnte sich gegen die Wand, schlug die Hände vors Gesicht und brauchte eine ganze Zeit, um sich von dieser Begegnung zu erholen.
Franz Busko fuhr ihn zurück nach Leverkusen … seinen MdB-Wagen schickte er mit Chauffeur allein nach Bonn. Kurowski war jetzt nicht fähig, selbst zu fahren … er hing hinten in den Polstern, sprach kein Wort und wurde erst wieder der alte, der ›Meester‹, als sie sich Leverkusen näherten.
»Ob man ihn freiläßt?« fragte er.
»Bestimmt.« Busko blickte durch den Rückspiegel. Er sah Kurowskis Kopf, alt geworden, grauhaarig, aber kantig und eisenhart. Ein Schädel aus Adamsverdruß, aus Urgestein gehauen. »Ich habe für ihn gebürgt, Meester.«
»Was hast du?«
»Gebürgt. Das war der schnellste Weg. Als MdB …«
»Franz …« Kurowski schluckte. Rührung überkam ihn, kindliche Rührung. »Wie kann ich dir das jemals gutmachen?«
»Nächste Woche, Meester. Ich brauche eine neue Rede. Über die Notwendigkeit der Entwicklungshilfe für Schwarzafrika …«
»Du meine Güte! Mußt du dich da dreinhängen? Such dir ein anderes politisches Gebiet aus …«
»Es geht nicht,
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