Aus dem Überall
anscheinend sehr, sehr lange bewußtlos gewesen, denn sie hatte die Umlaufbahn des Neptun schon hinter sich, und sie beschleunigte immer noch leicht. Sie hätte sich den Hauptschub aufsparen sollen, bis sie sich aus der Anziehungskraft der Sonne befreit hatte, aber nun war sie froh, daß sie es nicht getan hatte. Sie zog den Anzug aus und wusch sich mit einem Minimum an Wasser. Sie hatte noch viel aufzuräumen, aber zuerst mußte sie eine Bestandsaufnahme ihrer Vorräte machen, was im Grunde bedeutete, ihre Lebenserwartung zu berechnen.
Sie hatte schon vor längerer Zeit überschlagen, daß die Spanne irgendwo zwischen hundert und hundertfünfzig Erdentagen lag.
Das Essen war kein Problem. Die dehydrierten Vorräte hätten für sie selbst und sechs Männer für ein Jahr gereicht.
Mit dem Wasser war es schwieriger. Aber die Rückgewinnungsanlage war nagelneu und funktionierte gut, und die Tanks waren voll. Sie würde für den Rest ihres Lebens H2O trinken, das schon unzählige Male durch ihre Nieren und ihre Blase geflossen war, dachte sie. Aber bei den Menschen der Erde erregte ein solcher Gedanke schon lange keinen Abscheu mehr. Sie hatte nur ein paarmal in ihrem Leben nicht wiederaufbereitetes Wasser getrunken; es war aus einer Entsalzungsanlage gekommen. Der Import von Eisasteroiden zur Erde gehörte zu den Routineaufgaben der Raumbasis.
Die Calgary besaß sogar einen kleinen Vorrat an Frischwasser, den sie vielleicht ohne großen Luftverlust erreichen konnte. Sie hatten einen sauberen Eisblock gefunden und außen an der Hülle befestigt.
Sie sah sich um und überprüfte die Hauptkonsole, an der sie noch nie hatte sitzen dürfen. Die Berechnung des Sauerstoffvorrates schob sie noch auf. Plötzlich erregte ein seltsames Glitzern ihre Aufmerksamkeit. Sie stand auf und betrachtete das Ding, das in die Decke eingelassen war. Eine getarnte Linse!
Sie war auf eines der vielen, versteckten Augen und Ohren gestoßen, die es auf allen Schiffen gab. Sie schob einen Schraubenzieher in die Fassung, und irgendwo begann eine Bandmaschine zu surren. Das Ding hatte natürlich die wahren Ereignisse auf der Calgary aufgezeichnet, und die Fischaugen-Linse war so ausgerichtet, daß ihr augenblicklicher Kurs und ihre Position abzulesen waren.
Aus früheren Erzählungen und Erklärungen auf der Basis wußte sie, daß das Ding im Augenblick nicht sendete. Man hatte ihr anvertraut, daß diese Augen und Ohren die wichtigsten Daten in komprimierter Form in längeren, zufällig gewählten Intervallen sendeten. Die detaillierte Auswertung konnte warten, bis die Calgary wieder in menschlichen Händen war.
Und dazu mußten sie sie erst fangen. Sie lächelte grimmig mit aufgesprungenen Lippen.
Aber hatte das Ding Daten ausgestrahlt, während sie bewußtlos gewesen war? Oder sogar davor? Sie konnte es nicht wissen. Wenn ja, dann war ihre Lügengeschichte nur ein Detail im Katalog ihrer sonstigen Verbrechen. Wenn nein, um so besser.
Wie konnte sie es desaktivieren, ohne die Wände aufzureißen oder eine Notsendung auszulösen? Das hatten vor ihr sicher schon andere versucht. Sie mußte gut nachdenken und ihre ersten Impulse unterdrücken.
Fürs erste überklebte sie die Linse. Dann dachte sie einen Augenblick nach und suchte weiter. Da sie jetzt wußte, wonach sie suchen mußte, fand sie die Reserveeinheit oder vielleicht sogar die Haupteinheit, denn sie war sorgfältiger versteckt. Sie überklebte auch diese Linse und dachte zu spät daran, daß möglicherweise genau das der Auslöser für eine Sendung war. Nun, dann war es zu spät. Zumindest fühlte sie sich jetzt nicht mehr beobachtet. Es war ein neues Gefühl. Die Leute nahmen es für selbstverständlich, ständig überwacht zu werden. Vorlaute Kollegen rissen Witze über die Berge nie ausgewerteter Daten, die irgendwo und irgendwie gelagert wurden. Vielleicht füllten sie schon einen ausgehöhlten Asteroiden.
Sie sank auf der bequemen Pilotencouch zusammen. Wenn es noch eine dritte Einheit gab, hatte sie eben Pech gehabt.
Nun der Sauerstoff.
Selbst bevor sie eine ganze Schiffsladung in den Weltraum entlassen hatte, war die Situation nicht sehr gut gewesen. Das biologische Regenerationssystem war alt und hing davon ab, daß es von draußen Sonnenlicht bekam. Das schwache Licht in der Nähe des Uranus hatte bei weitem nicht ausgereicht; einige biologische Komponenten waren eingegangen, und der Regenerator war fast unbrauchbar.
Sie hatten dies vor dem … Ereignis genau gewußt.
Weitere Kostenlose Bücher