Aus dem Überall
Schwerelosigkeit machte ihr keine Probleme. Sie war eine jener wenigen Menschen, die ein Leben in Schwerelosigkeit ausgesprochen angenehm fanden. Die lästige Neigung geöffneter Werkzeugkisten, sich selbst auszupacken, amüsierte sie eher. Und die Calgary hatte zahlreiche pfiffige Hilfen für das Leben bei Null Schwerkraft. Während CPs Körper heilte, war sie glücklich, von jedem Druck frei zu sein.
Sie war sehr dankbar für die Bequemlichkeit des großen Mutterschiffes. Sie hatte nie die Absicht gehabt, es zu stehlen. Ein Scoutschiff, das Meich ihr vorenthalten hatte, hätte ihr völlig gereicht. Diese Reise hinter dem Uranus war die weiteste Entfernung, in die man sie hätte freiwillig gehen lassen. Als Don sich die Hüfte gebrochen hatte, hatte sie noch an ihr Glück geglaubt. Sie hatte sich schon Gedanken gemacht, wie sie den letzten Piloten außer Gefecht setzen könnte, damit man ihr sein Scoutschiff gab, wie es ihr Vertrag vorsah. Die kleinen Kapseln waren nicht gerade bequem, kaum mehr als Tanks mit einem Triebwerk, aber ihre reichlichen Brennstoffvorräte hätten sie weit hinausgetragen, und niemand hätte sie verfolgen können.
Raus, das war ihre ganze Sehnsucht. Für immer raus, raus aus der Reichweite der Menschen – ob sie überleben würde und das Glück hatte, einen ›schlafenden Kometen‹ zu entdecken, der sie mit Höchstgeschwindigkeit aus der Welt der Menschen trug? Hinaus in die Freiheit, in Freiheit sterben. Der Tod würde bald kommen, aber ihr Körper würde in alle Ewigkeit frei fliegen. Niemand würde sie verfolgen, niemand würde sie berühren, kein Mensch jedenfalls.
Hinaus, um zwischen den Sternen zu sterben. Das war ihr großer Traum, für den sie gearbeitet und ganz rational alle Mühen auf sich genommen hatte.
Nein, nicht ganz rational.
CP war nicht immer rational. Oder besser, sie war im Grunde nie ›rational‹. Da war immer noch die Sache, die sie kurz das ›Reich‹ nannte.
Es wurde schon erwähnt, daß CP noch ein großes Geheimnis hatte. Die Tatsache, daß sie plante, ein Schiff zu stehlen und in den Tod zu fliegen, hielt sie natürlich geheim. Aber dies war nicht ihr großes Geheimnis, und es war nicht einmal einzigartig. Ab und zu hatten vor ihr schon andere unter den Belastungen der Menschenwelt durchgedreht und waren zu einem Todesflug ins Nichts aufgebrochen. Man sprach selten und sehr verächtlich über solche Verluste von wertvollen Geräten, und die Ereignisse wurden auf Fehler in den endlosen, strengen Auswahltests der Manager geschoben. Aber dies war nicht ihr Geheimnis.
Das ›Reich‹ war es. Das Reich der Schweine.
Das Reich war alles und nichts. Im Grunde war es nur eine Geschichte, eine Stimme, die ständig in ihrem Kopf sprach. Es hatte vor wer weiß wie langer Zeit angefangen und seitdem nicht mehr aufgehört. Es erklärte die unmenschliche Klarheit ihres Verhaltens, ihre unerschütterliche Leidensfähigkeit unter unerträglichen Bedingungen. Es war eine Geisteskrankheit, die sie mit überlegener Kompetenz und Rationalität weiterfunktionieren ließ, und in der niemand eine Geisteskrankheit vermutete.
Nicht einmal die Psychologen bei der Einstellung mit ihren Wahrheitsdrogen und ihren Hypnosetechniken und den geheimen ständigen Aufzeichnungen jeder privaten, durch Drogen entspannten Stunde des letzten Monats, nicht einmal die kunstfertig aufgeführten Glückwunschszenen, die so manchen verschlossenen Lippen im letzten Augenblick ein Geheimnis entlockt hatten; nichts von alledem hatte CPs Schweigen brechen können. Ihr Geheimnis lebte unbeobachtet weiter, und es gab für keinen anderen Menschen einen Hinweis.
Irgendwann in ihrer Jugend hatte sie die Chance ergriffen, einige nicht allgemein anerkannte Zweige der Psychologie zu studieren. Sie wollte wissen, ob die Stimme in ihrem Kopf bedeutete, daß sie verrückt war, wenn sie das vor sich selbst auch nicht zugeben konnte. Wahrscheinlich war es so, räumte sie unbewußt ein, und vergrub ihr Geheimnis nur noch tiefer. Wie üblich lernte sie in der kurzen Zeit intensiv und effizient, und dieses Wissen half ihr später, Angriffe auf ihr Bewußtsein abzuwehren und jene zufriedenzustellen, die ihr Schicksal in der Hand hatten.
Die Geschichte hatte sehr früh angefangen.
Man hatte ihr immer wieder gesagt, daß sie aussähe wie ein Schwein. Eines Tages bekamen die Kinder eine großartige Einladung – sie durften den städtischen Zoo besuchen. Dort sah CP richtige Schweine; es waren ein großer Eber und
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