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Aus dem Überall

Aus dem Überall

Titel: Aus dem Überall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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Jürgen Langowski

Bibertränen
(BEAVER TEARS)
     
    Spät zu Hause, verschwitzt und müde. Heute lädt er sich selbst zu einem Chivas Regal und dem Rest des hervorragenden Roastbeef ein, den Jenny im Kühlschrank hinterlassen hat. Dazu Gewürzgurken mit Knoblauch und Schwarzbrot. Und Käse: Salbei-Cheddar. Nicht ganz so gut wie die Reklame sagt, aber brauchbar.
    Er schlendert müde zum Fernseher, schaltet die Kanäle durch. Zu spät, NBC hat Nachtruhe. Irgendwas von National Geographie läuft. Er kaut und sieht dem Typ zu, der erklärt, wie man Biber einschläfert. Die Biber haben große Zähne. Rätselhafte Tiere. Marlboro-Musik. Männer stopfen die Biber in Beutel, drei Beutel in einem Korb für jedes Packpferd. Biber sind ökologisch wichtig. Er vermutet, daß sie an einem Berg, der vom Bergbau verwüstet worden ist, wieder freigelassen werden. Dort werden sie sich wie Biber benehmen, Dämme bauen, Schlick festhalten und die Wälder wieder aufbauen. Hübsche Sache; ein Wunder der Natur.
    Er genehmigt sich noch einen Chivas Regal und fragt sich, ob sich die Biber in den Beuteln mögen. Als der Mann sie freiläßt, hoppeln sie wie wild in verschiedene Richtungen davon. Ein paar verhalten sich, als wären sie verletzt, aber die Kamera schwenkt sofort zu einem, der, völlig intakt, in einer trockenen Rinne verschwindet. Dazu Disney-Musik. Nächste Woche die Rettung des Riesenrochen.
    Er schaltet die Werbung ab und tritt in den dunklen Patio hinaus. Immer noch heiß. In der Umgebung überall Lichter. Als er und Jenny vor fünf Jahren einzogen, war es ein Holzfällerland. Zwei Hektar Wildnis, aber die Kommission hat eine Kanalisation gebaut.
    Er betrachtet den Himmel, soweit er über den Lichtern zu sehen ist. Über dem Bald Peak westlich der Stadt braut sich ein Sommergewitter zusammen. Die großen Wolken blitzen schon. Auf Bannerman’s Patio dröhnt Country-Musik, wieder mal eine dieser endlosen Parties. »Feten«, sagt Joan Bannerman immer und grinst trotz überstandener Menopause wie eine Jugendliche. Die Bannermans haben zwei dämliche Jungen. Joan kleidet sich, als wäre sie ihre Schwester. Ist stolz auf ihre Figur. Fährt mit ihnen auf dem Sozius ihrer Harley-Davidsons zum Postamt, meine Güte. Wagenräder und Kuhschädel um den Swimmingpool.
    Er seufzt und schwärmt von Jenny. Aus dieser Entfernung mag er sogar das Baby. Nein, das ist nicht fair. Er ist ein braver kleiner Kerl. In zwei Tagen kommen sie zurück, Jenny und Jimmy … Er grunzt verhalten und reibt sich an der Tischkante das Hinterteil. Noch zwei Nächte. Wir fahren zur Großmutter. Aber warum muß Großmutter in Santa Barbara leben? Eigentlich gar nicht so schlecht. Er ist beschwipst und pfeift leise einer erwachten Spottdrossel, die auf den Krach bei den Bannermans reagiert.
    Beim Haus der Jacksons ist noch ein dunkler Waldflecken stehengeblieben. Die letzte schwarze Familie hier draußen. Früher war das Ackerland. Das Land gehört ihnen sogar. Vielleicht verkaufen sie bald. Nette Nachbarn – sechs Kinder, aber überhaupt kein Krach. Zweifellos können sie bei diesem Tumult der Mittelklasse nicht schlafen.
    Jetzt flackert es über dem Bald Peak ziemlich grell, ein beeindruckendes Schauspiel. Jenny sagt immer, daß es so was wie »Wetterleuchten« nicht gibt; es seien einfach weit entfernte Gewitter. Wenn das stimmt, dann ist es ein prächtiges Gewitter, vielleicht bringt es Regen. Wir könnten ihn gebrauchen; der Wasserspiegel ist stark gesunken, und die Brunnen trocknen langsam aus, seit sie das halbe Land zubetoniert haben. Müßte mal den Wetterbericht hören, denkt er, und geht sofort wieder hinein, um den Sender mit den Vorhersagen im Radio zu suchen. Schon wieder kaputt, nur Statik. Ohne Jenny geht hier alles zum Teufel.
    Er sucht einen Nachrichtenkanal und bekommt ein Science Fiction-Hörspiel herein. Und jede Menge Rauschen. Jenny wird das Ding reparieren. Noch zwei Nächte. Den Whisky austrinken?
    Er entscheidet sich dagegen; morgen ist ein schwerer Tag. Donnerstag ist immer der schlimmste Tag der Woche. Donnerstags kann man niemand um etwas bitten. Der Krach bei den Bannermans nimmt zu. Schrille Schreie, laute Männerstimmen hallen durch die Lautsprecher. Verdammt, Verstärkeranlagen im Freien sind um diese Zeit verboten. Soll er rübergehen und sich beschweren? Nein, warte auf Jenny, die kann so was besser. Besonders, wenn das Kind wachgeworden ist.
    Er grinst sehnsüchtig und schließt alle Fenster, die zu den Bannermans hinausgehen.

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