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Aus dem Überall

Aus dem Überall

Titel: Aus dem Überall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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Aber das ist kein Biber, das ist ein Menschenkind. Schließlich erinnert er sich. Evelyn oder Jacqueline, eins der Kinder der Jacksons. Etwa acht Jahre alt. Sie umklammert ihren Arm, der anscheinend stark geblutet hat. Er weiß, er muß sich jetzt der Realität stellen; er muß sich bewegen, aufstehen, dem Kind helfen.
    Aber noch während er es denkt, durchdringt ein lautes Hallen die Kammer und raubt ihm fast das Bewußtsein. Schmerz durchflutet ihn, während sich tief in seinem Herzen ein Tor vor einer grünen, sonnigen Welt verschließt. Das Schiff startet. Jenny, Jimmy. Fort. Schließ es weg! Schluck’s runter!
    Benommen und gegen den Brechreiz kämpfend, denkt er: Wir haben es geschafft. Was immer es war, wir tun, was Menschen tun müssen. Wir haben es so gemacht, wie sie es haben wollten. Beton, Kohlenmonoxid, die Meere voller Plastik und Öl, wer weiß. Was wir eben so tun. Wir haben es für sie gemacht. Und jetzt bringen sie ein paar von uns woanders hin, damit wir es noch einmal machen. Hunderte, vielleicht Tausende von uns. Biber. Eine Gruppe auf so und soviel Millionen Quadratmeilen, pro Planet, wer weiß?
    Nun ist die Wirkung der Droge oder des Betäubungsmittels völlig verflogen, und der Schmerz von seinem Schenkel und von seinem verletzten Gesicht wird unerträglich. Sein Bein muß gebrochen sein, er braucht einen Arzt. Er stöhnt unwillkürlich. Er versucht, sich zur Seite zu drehen und fragt sich, ob Joan Bannerman oder das seltsame Mädchen auf dem Boden ihm helfen können.
    Joan Bannerman starrt ins Leere und murmelt: »Harry, Harry.« Sie hat sich die Finger in den Mund gesteckt. Sie kann ihm nicht helfen. Das Mädchen?
    Das Mädchen bewegt sich jetzt, sieht er, sie erwacht. Anscheinend ist sie nicht verletzt. Sie rollt sich mit schläfrigen, trägen Bewegungen herum und furzt laut.
    »Mom?«
    Mein Gott, das ist überhaupt kein Mädchen. Das ist Oscar Bannerman.
    »Mom!« quengelt Oscar. Seine Mutter reagiert nicht. Plötzlich kommt eine Hand aus dem Nichts und schlägt sie ins Gesicht. Mein Gott – da ist noch ein Junge, der hinter Joan an der Wand sitzt. Aber es ist nicht ihr zweiter Sohn – das ist der Freund ihres Sohnes, der die Katze erschoß. Billy Dee oder so.
    Joan Bannerman erwacht langsam und tätschelt ihren Jüngsten und schmeichelt: »Harry …«
    »Okay, Mom.« Oscar streift ihre Hand ab. Er und Billy kommen benommen auf die Beine und starren in die Runde. Ihre Augen zeigen kein Mitgefühl.
    Hinter dem Schmerz erwacht eine tödliche Hysterie. Die Aliens, denkt er, wissen anscheinend nicht viel über menschliche Biologie. Oder es ist ihnen egal. Vielleicht orientieren sie sich an oberflächlichen Zeichen, etwa am Haar. Vielleicht haben sie Oscar für ein Weibchen gehalten … für ein vorpubertäres Mädchen und eine Frau ohne Gebärmutter für die Kolonisierung – wovon? Ihre ökologischen Operationen müssen einen so großen Maßstab haben, daß Fehler wie diese keine Rolle spielen. Wir werfen Millionen Forellen mit dem Flugzeug ab; ein paar werden schon überleben.
    »Bist du in Ordnung, Ossie?« fragt Billy Dee.
    Oscar furzt wieder und kichert. Billy Dee nickt beifällig. Seine kleinen, leicht schielenden Augen wandern durch den Raum, zum schwarzen Kind, zum verletzten Mann.
    Niemand spricht. In der Stille hört man das leise Geklapper der außerirdischen Macht. Die kleine Jackson starrt Billy Dee leer und erschreckt an. Und jetzt wird auf der anderen Seite der düsteren Zelle noch jemand spürbar, der letzte ihrer Gruppe.
    Bitte, Gott, denkt er, laß es jemand sein, der in Ordnung ist. Er dreht unter Schmerzen den Kopf.
    Es ist ihr dreizehnjähriger Bruder Payton, ein schlanker schwarzer Junge, der reglos zusammengekrümmt liegt und ein glitzerndes Ding in der Hand hat.
    Nein. Er überläßt sich wieder dem Schmerz und ist sicher, daß dieser Versuch nicht erfolgreich sein wird.
     
     
    Originaltitel: »Beaver Tears«
Copyright © 1976 by Alice B. Sheldon
(erstmals erschienen in »Galaxy«, Mai 1976)
Copyright © 1989 der deutschen Übersetzung by
Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jürgen Langowski
     

Eure Gesichter, meine Schwestern! Eure strahlenden Gesichter!
(YOUR FACES, O MY SISTERS! YOUR FACES FILLED OF LIGHT!)
     
    Warme Sommernacht, die großen Regentropfen fallen jetzt schneller, während sie hoch über der toten alten Stadt auf der Schnellstraße läuft. Blitze zischen und krachen hinter ihr über dem See.

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