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Aus dem Überall

Aus dem Überall

Titel: Aus dem Überall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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Wundervoll! Die Blitze erwecken die Dächer der Stadt unter ihr zum Leben, meilenweit kantige Gebäude, grau und scharf umrissen im flackernden Licht. Früher lebten hier Menschen, weit hinaus bis zum Horizont. Sie lächelt und denkt an all die Wände und Fenster, hinter denen Menschen waren, voller Unruhe und Angst. Unglaublich.
    Sie passiert eine große Reklametafel, die im Wind pendelt und knallt. Ein Teil eines grinsenden Gesichts: O-N-D-E-RB-R-E-A, was auch immer das war. Hell wie der Tag. Sie geht weiter und genießt den kühlen Regen auf ihrem ungeschützten Kopf. Sie kann sich noch ein paar Minuten Zeit lassen, ehe sie den Parka schließt; die Frische tut so gut. Die Kopfschmerzen sind völlig verschwunden. Die Schwestern haben sich geirrt, sie ist gesund. Es gab keinen Grund, länger zu warten, mit den Botschaften in ihrem Packen und Des Moines vor ihr. Ihnen war gar nicht klar, wie erholsam das Laufen sein kann.
    Die Sandalen werden naß, bemerkt sie. Das fühlt sich gut an, aber sie dürfen nicht durchweichen. Dann reiben sie, und ich bekomme Blasen. Kuriere müssen an solche Dinge denken. Noch ein paar Minuten, dann wird sie eine Rampe hinuntersteigen und einen Unterschlupf suchen.
    Hier über der alten Stadt gibt es alle halben Meilen eine Ausfahrt. Chi-cago oder She-cago, so ähnlich hieß es. Sie müßte es eigentlich wissen, sie ist schon ein paarmal hier durchgekommen. Kurier nach Westen. Der See hinter ihr ist der Michigam-See, Michi-gami, das glänzende Große Wasser. Sie denkt zufrieden, daß sie schon fast siebzig Meilen zurückgelegt hat, seit sie gestern die Herberge verließ, siebzig Meilen an einem Stück. Ich bin nicht mal müde. Die liebe alte Schwester, denkt sie. Ich hätte gern noch länger mit ihr gesprochen. Wie die kluge alte Nokomis. Das ist das Problem – ich will immer bleiben und die schönen Orte und Menschen kennenlernen, aber ich will auch immer weiter zum nächsten. Kuriere sehen viel. Eines Tages wird sie wieder herkommen und im See schwimmen und durch die alte Stadt streifen. Es gibt hier so viel zu sehen, und außer umstürzenden Mauern gibt es keine Gefahr, und damit kennt sie sich aus. Manche Schwestern sagen, daß es hier Hundemeuten gäbe, aber sie glaubt es nicht. Und selbst wenn, die sind nicht gefährlich. Tiere sind nicht gefährlich, wenn man weiß, wie man sich verhalten muß. Es gibt überhaupt keine Gefahren mehr in der ganzen freien weiten Welt!
    Sie schüttelt den Regen aus ihrem Gesicht und lächelt in die windige Nacht hinauf. Kuriere haben ein schönes Leben! Die ungebundene Frau, immer unterwegs. Hey, Schwester! Post oder Nachrichten für Des Moines und den Westen? Reisen, immer weiter. Aber im Augenblick reist sie mitten in einem schweren Regenguß. Sie schiebt sich an einem Haufen alter, kaputter ›Autos‹ vorbei, und Platsch! Ihr Fuß versinkt bis zum Knöchel. Der Regen schlägt überall auf der Straße kleine Fontänen aus dem Pflaster. Zeit, sich unterzustellen; sie greift nach hinten und zieht die Parkakapuze unter ihrem Rucksack hervor und denkt, wie lebendig der Highway mit den Blitzen und dem Regen aussieht. Diese Straße muß früher voller ›Autos‹ gewesen sein, alle glänzend und neu, die wahrscheinlich dicht hintereinander vorbeirauschten und Gase ausspuckten, mit grellen Scheinwerfern und die Straße blockierend. Sie kann sie beinahe hören, die armen verrückten Dinger. Brrumm! Ganz in der Nähe schlägt ein Blitz ein und flackert wie ein Stroboskop. Mann! Das war knapp. Sie kichert, fühlt sich einen Moment vom Ozon etwas benommen. Ah, da drüben ist eine Ausfahrt. Sie sieht stabil aus.
    Von einem seltsamen, tanzenden Lichtkegel verfolgt, ein Spiel des Gewitters, duckt sie sich und rennt leichtfüßig vom Stevenson Expressway zur Fünfunddreißigsten Straße hinunter.
    »Weg.« Streifenpolizist Lugioni schaltet das Blaulicht aus und läßt die Sirene ersterben. Der Streifenwagen beschleunigt auf der rechten Spur und funkt, daß eine Ringfahndung eingeleitet werden müßte. »Ein verdammtes Gör, um diese nachtschlafende Zeit zu Fuß.« Er schüttelt den Kopf.
    Al, sein Fahrer, tastet unter seinem Bein nach der Zigarettenschachtel. »Ich glaube, es war ein Mädchen.«
    »Wer weiß das schon«, grunzt Lugioni. Überall zucken Blitze, ein richtiger Wolkenbruch. In der Stadt ist der Samstagabend-Wahnsinn ausgebrochen. Die Autos werfen im Scheinwerferlicht der folgenden Wagen große Schleier von schmutzigem Wasser hoch.
    – Trocken unter

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