Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aus dem Überall

Aus dem Überall

Titel: Aus dem Überall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
Vom Netzwerk:
berührst, das ist schon alles. Wenn ich sage ›jetzt‹, bedienst du mit der anderen Hand diesen Kopf da. Klar?«
    Jolyone nickte; sie hatte plötzlich wieder Schwierigkeiten mit den Augen.
    Der Techniker bückte sich und verschwand unter einem Gewirr von elektronischen Schaltungen, während Jolyone stehenblieb und tat, was er ihr gesagt hatte. Ihr Zahn gab jetzt wieder laute Geräusche von sich und übertrug die interessiert klingende Stimme Hal Hodges’. »Womit werden sich Leute wie wir in hundert Jahren beschäftigen, Bill?« fragte er.
    »Wir werden einander auf den Kehlen stehen«, erwiderte der Science fiction-Autor durch Jolyones Zahn und putzte sich die Nase.
    Mit einem Schlag kam die Vision zu ihr zurück. Und mit ihr kam etwas, das Jolyone bisher übersehen hatte. »Oh, nein, nein, nein«, flüsterte sie und fühlte, wie eine dicke Träne ihre Wange hinunterlief. Und sie hatte keine Hand frei, um sie fortzuwischen.
    Sie sah jetzt die Gesichtsausdrücke der Menschen, die sich wie eine Lawine auf sie zuwälzten. Sie waren in unendlichem Haß verzerrt. Jolyone sah rotunterlaufene Augen, gebleckte Zähne, zu Krallen verkrümmte Finger, hörte triumphierendes Geschrei, sah Hände, die nach Messern und Pistolen griffen und kämpften. Errungene Siege währten nur kurz; stets rollte eine neue Welle von Verzweifelten heran, die sich der Sieger annahm und sie niedermachte. Und aus der Tiefe erklangen die jammernden Schreie der Niedergetrampelten und Sterbenden. Nirgendwo in dieser Vision des Grauens existierte Freundlichkeit. Es gab nichts, das man auch nur im entferntesten als menschlich bezeichnen konnte. Was die verwüstete Erde erwartete, war der Krieg, in dem jeder gegen jeden antrat.
    Wenn wir alles vernichtet haben, werden wir zu Tieren hinabsinken, dachte sie. Ein Schluchzen bildete sich in ihrer Kehle, als sie an die zum Untergang verurteilte Schönheit der Natur und den zerbrechlichen Traum dachte, den die Menschheit geträumt hatte.
    »Nein«, keuchte sie.
    »Jetzt«, rief der Techniker, der sich noch immer unterhalb des Kontrollbords aufhielt.
    Tränenblind und mit bebenden Fingern langte Jolyone nach vorn. Ihre Tränen fielen auf komplizierte Schaltkreise, was normalerweise nicht hätte vorkommen dürfen. Verzweifelt sandte sie ein Stoßgebet zum Himmel. »Halt es auf, bitte.«
    Es war plötzlich so still, daß man die Luft knistern hören konnte.
    »Piontwxq?« sagte ihre Zahnfüllung in die Stille hinein. »Eh! Aufhalten was?«
    »Laß uns damit aufhören«, wiederholte Jolyone verrückterweise, ohne zu ahnen, daß ihr Hilfeschrei auf unbekannte Frequenzen in unermeßliche Fernen hinausjagte, da sie nichts mehr zu verspüren vermochte als ihren Schmerz. »Verhindere, daß wir noch mehr Menschen werden und alles vernichten! Oh, bitte, sorge dafür, daß das nicht geschieht! Laß nicht zu, daß wir unsere schöne Welt vernichten!«
    »Einen Moment«, erwiderte die dünne Stimme in Jolyones Zahnfüllung und sorgte dafür, daß die Augen des Mädchens nun das gleiche Format annahmen wie Hal Hodges’ Mund. »Ich mach das schon. Du kannst aufhören zu weinen.«
    Die Stimme kam aus weiter Ferne, und natürlich verständigte sie sich nicht auf englisch. Aber Jolyone fiel das in diesem Moment gar nicht auf.
    »Oh!« stieß sie hervor. »Wer … was …«
    »Heiliger Bimbam!« Der Techniker krabbelte blitzschnell unter dem auseinandergenommenen Kontrollbord hervor und raffte in aller Eile einige Werkzeuge zusammen. Hal Hodges kam aus seiner Bude gerannt und prallte mit dem Toningenieur zusammen. Sie schrien beide auf. In dem folgenden, allgemeinen Aufruhr sah Jolyone den Science fiction-Autor kopfschüttelnd nach seinen Wagenschlüsseln greifen.
    Und dann hatte man sie natürlich schon beim Wickel. Nicht zu wissen, daß man den Hypermixer nicht mit dem Goobilizer zusammenbringen durfte, war ja nun auch wirklich zuviel.
    In der Zwischenzeit legte vierzigtausend Kilometer von der Erde entfernt Etwas – mag es nun ein Wesen, ein Dschinn, ein Geist oder sonst was gewesen sein – letzte Hand an einen winzigen Adjustierungshebel eines unserer gleichgeschalteten Erdsatelliten, der plötzlich mit dem er/sie/es an Bord zischend in die Atmosphäre eintauchte, sich der Erdoberfläche näherte und über den Anden etwas ausspuckte, das beileibe keine Aktentasche war. Es landete genau in einer Gletscherspalte.
    Im nächsten Augenblick war unser Besucher wieder draußen und kehrte in die Tiefen des Weltraums zurück,

Weitere Kostenlose Bücher