Aus dem Überall
wobei es das Ding, das beileibe keine Aktentasche war, unter dem – nun ja, unter irgendeinem Glied trug, das man nicht mit einem Arm verwechseln konnte. Hätte man in diesem Moment den Ausdruck auf dem, was ein Gesicht hätte sein können, gesehen, so wäre er dem eines vorbeigehenden Erwachsenen, der in letzter Sekunde mit einem festen Tritt den in einen Abgrund rollenden Fußball einiger spielender Kinder rettet, nicht unähnlich gewesen.
Und das ist alles, was wir bis zum heutigen Tage von ihm wissen.
Erst am nächsten Morgen, als das Sonnenlicht die Erde in ihren hellen Schein tauchte, erfuhren wir, was geschehen war.
In jeder Wohnung, in jedem Iglu, jeder Hütte, Höhle oder jedem Zelt von den Fidschi-Inseln bis nach New York war es das gleiche. In jedem Haushalt erwachte nur ein einziges Kind – und zwar das jüngste. Alle anderen blieben bewegungslos in ihren Betten liegen, und es machte keinen Unterschied, ob sie in Krippen, auf Strohsäcken oder Fellhaufen lagen. Bis auf das jüngste Kind in jeder Familie wachte keines auf.
Und einen kurzen Moment später erhob sich das große Gejammer, das dem Sonnenaufgang rund um die Welt folgte. Mütter entdeckten, daß die Körper ihrer schlafenden Kinder kalt waren und ihre Oberkörper sich weder hoben noch senkten. Sie taten keinen Atemzug. Jungen und Mädchen von zwei bis zwanzig, und jeder Säugling, gleichgültig, welchen Alters, lagen reglos und kalt da. Man fand selbst die erwachsenen Kinder, die das Elternhaus noch nicht verlassen hatten, leblos in ihren Betten.
Der Tod, so schien es, hatte alle Familien ihrer Kinder – ausgenommen der Neugeborenen – beraubt.
Allerdings gab es außer den panisch reagierenden Eltern auch einige, die die Nerven behielten und ihren Kindern geistesgegenwärtig einen Spiegel vor den Mund hielten und geduldig ihren schwachen Atemzügen lauschten. Und schließlich stellte sich heraus, daß die Kinder keinesfalls tot waren. Sie atmeten unmerklich, und langsam, sehr langsam kreiste auch das Blut in ihren Adern und hielt das Herz in Bewegung. Sie waren also nicht gestorben, sondern schliefen nur, und die abgesunkene Körpertemperatur wies darauf hin, daß sie in einem Tiefschlaf lagen, der stärker war, als man jemals hätte vermuten können.
Man konnte sie weder wecken noch sonstwie ins Leben zurückrufen. Ärzte, Schamanen und Scharen von Müttern gingen mit Hitze- oder Kälteschocks auf die Kinder los oder probierten jedes auf der Welt bekannte Stimulans, das möglicherweise diesen Fluch von ihnen nehmen konnte. Aber es war alles umsonst. Die Tage vergingen, ohne daß sich der Herzschlag irgendeines Kindes veränderte oder die Art des Atmens schneller wurde.
Auf der ganzen Welt warfen Väter einen Blick auf die Reihe ihrer schlafenden Abkömmlinge und beschlossen, einen trinken zu gehen. Die Mütter – völlig aus dem Häuschen – verteilten ihre Aktivitäten darin, sich um das einzig wache Kind zu kümmern und ansonsten zu versuchen, die anderen wach zu bekommen.
Die einzigen Eltern, in deren vier Wänden sich das Phänomen nicht zutrug, waren jene, die nur ein einziges Kind besaßen. Aber in vielen dieser Familien war ein zweites Kind unterwegs. Und so fand man rasch heraus, daß, sobald ein neues Baby seinen ersten Schrei tat, das Erstgeborene die Augen schloß und einschlief. Kaum hatte man das Neugeborene der Mutter an die Brust gelegt, befand sich das erste bereits im Tiefschlaf. Offenbar konnte man nur noch das jüngste Kind eines jeden Haushalts als normal bezeichnen, denn dies schlief und wachte auf, aß und spielte weiter wie zuvor, während alle anderen in ihren Hütten und Hospitälern, Hausbooten und Höhlen das Leben in einem tiefen, den Körper erkalten lassenden Trancezustand verbrachten.
Die Verzweiflung der Menschen wuchs von Tag zu Tag und drängte alle anderen Weltprobleme in den Hintergrund. Sollte es das Schicksal der Erde und ihrer Bewohner sein, sich nur noch um die lebenden Toten zu kümmern?
Und dann kam der Tag, an dem der erste Schläfer wieder erwachte.
Der erste bekannte Fall dieser Art spielte sich am vierzehnten Tag nach der Katastrophe ab und fand in dem ziemlich überfüllten Wohnwagen der in Pawnet, Westvirgina, lebenden Familie McEvoy statt. Als die Sonne aufging, erklang die Stimme eines Kindes, das die vergangenen zwei Wochen geschlafen und geschwiegen hatte.
»Mammmaaa! Ich happ Hunga!«
Mrs. McEvoy raste in den Vorraum, wo ihre schlafenden Bälger nahezu jeden
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