Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
Beteiligten Geschlechtsverkehr hatten und das vermeintliche Opfer leichte Verletzungen am Körper, ist nicht strittig. Das klärt aber überhaupt nicht, was genau passiert ist und wer die Verletzungen verursacht hat.
In solchen Fällen schätzt der Gutachter zuerst ein, ob der Untersuchte allgemein eher dazu neigt, wahre Aussagen zu machen, oder nicht. Eine Person, die eher unterdurchschnittlich intelligent ist, hat es beispielsweise schwerer, sich eine ausgeklügelte Lügengeschichte auszudenken, als eine sehr intelligente Person. Manche Menschen lassen sich von Natur aus leicht von anderen beeinflussen und etwas einreden. Einige wollen es bei ihrenAussagen vor Gericht ihrem Partner oder ihrer Familie recht machen oder gehören einer Sekte an, der sie gehorchen. Solche Menschen werden als eher unglaubwürdig eingestuft. Es gibt auch psychisch kranke Menschen wie Schizophrene, die das, was sie erleben, vorübergehend nicht richtig einschätzen. Auch sie sind deshalb weniger glaubwürdig. Wenn jemand viele Vorstrafen hat, drogen- oder alkoholabhängig ist oder oft lügt, schmälert das seine Glaubwürdigkeit ebenfalls.
Das ist aber nur ein Teil dessen, was bei der Beurteilung, ob jemand lügt oder nicht, wichtig ist. Der Gutachter prüft zudem, ob der Zeuge oder Tatverdächtige einen guten Grund hätte, zu lügen, und ob das, was er erzählt, überhaupt Sinn ergibt und so passiert sein kann. Ob der Gutachter den Befragten für glaubwürdig hält oder nicht, er prüft auf jeden Fall anhand festgelegter Merkmale, ob der Bericht eher ausgedacht oder wirklich erlebt klingt. Aus diesem Grund lässt er den Befragten möglichst frei von der Tat, um die es geht, erzählen.
Ist die Geschichte zu gestanzt und erinnert beispielsweise an die Inhaltsangabe eines Romans, dann spricht das eher dagegen, dass er diese auch selbst erlebt hat. Auch wenn der Befragte die Geschichte nicht bei mehreren Gelegenheiten immer gleich schlüssig erzählt oder wenn er innerhalb der Geschichte nicht in der Zeit hin und her springen kann, macht das seine Aussage verdächtig.
Wenn ein Befragter eine Geschichte aber mit vielen Einzelheiten erzählt, im Ablauf hin und her springt und bei verschiedenen Gelegenheiten dieselben Sachverhalte mit unterschiedlichen Sätzen und Worten beschreibt, dann hat er eher wirklich erlebt, was er erzählt. Glaubhaft ist es auch, wenn der Befragte eigene Gefühle – auch eigene Zweifel, Unsicherheit oder Schuldgefühle – erwähnt, ungewöhnliche Einzelheiten nennt (beispielsweise, dass ein Fenster im Raum geklemmt hat) und Kleinigkeiten, die er bei der ersten Befragung nicht erwähnt hat, bei der nächsten Befragung einbaut.
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Kann Herr M. unschuldig sein?
Es gibt bisher kein Glaubhaftigkeitsgutachten über die Aussagen von Herrn M., deshalb wissen wir nicht, ob seine Aussage glaubhaft ist. Sie zeigt allerdings einige Merkmale, die für eine wirklich selbst erlebte Geschichte sprechen:
Herr M. beschreibt Einzelheiten, wie die zugezogenen Gardinen im Wohnzimmer seines Schwagers. Auch seine Gefühle erwähnte er an mehreren Stellen und die körperliche Reaktion darauf, also starkes Schwitzen. Sein Verhalten beschreibt er als nicht überlegt oder sachlich, sondern als verwirrt und überrascht. Das alles sind Details, die nicht einer gestanzten Geschichte entsprechen, sondern durchaus aus echtem Erleben stammen können.
Dass seine Erinnerung beim näheren Befühlen der blutigen Leiche seines Schwagers aussetzte, ist zumindest nicht auszuschließen. Herr M. hat eigentlich keinen Grund, den Gedächtnisausfall an dieser Stelle der Geschichte vorzutäuschen. Auch dass er die Personen, die er aus einiger Entfernung in der Wohnung des Schwagers sah, zuerst für Polizisten hielt, ist eine lebhafte Einzelheit, deren Beschreibung ihm keinen Vorteil bringt.
Dass sich auf rechtlicher Seite dennoch nichts tut und der Mann weiter im Gefängnis bleibt, liegt an etwas ganz anderem: Der Fall ist aus Sicht der Gerichte sauber abgeschlossen. Es ist einfach niemand, der ihm helfen könnte, für rechtliche Zweifel zuständig. Daher versandet das Ganze – mit etwas Pech, bis der Häftling stirbt.
Ob ihm in der Zwischenzeit ein Psychologe oder ein Seelsorger glauben, spielt keine Rolle. Alles, was bei früheren Verhandlungen schon im Entferntesten bedacht wurde, kann kein zweites Mal vorgebracht werden. Noch nicht einmal die Zeugenaussage, dass der Häftling den wahren Täter gesehen haben will. Aus der Sicht der blinden
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