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Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen

Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen

Titel: Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Mark;Benecke Benecke
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Josef als Kleinkind litt, schlicht nicht beachtete. Nur, weil ihre Nachbarn sie dazu drängten, ihren Sohn endlich behandeln zu lassen, brachte sie den kleinen Josef schließlich zum Arzt. Den Müttern seiner Klassenkameraden fiel die Vernachlässigung des sehr dünnen Jungen auf, sodass sie ihren Kindern sogar Brote für ihn mitgaben. Doch Josef klagte nie über seine Mutter und sprach auch nie von seinem nicht vorhandenen Vater.
    Auch der Rest seiner Kindheit war geprägt von gefühlsmäßiger Kälte, Einsamkeit, harter Disziplin und körperlichen Misshandlungen. Fritzl berichtete während der Haft über seine Mutter: »Sie prügelte und trat mich, bis ich am Boden lag und blutete. Ich hatte Angst vor ihr, schreckliche Angst vor ihrer Unberechenbarkeit, vor ihren Schlägen.« Niemand aus seiner Umgebung mischte sich in diese harten körperlichen Misshandlungen ein. In einer Zeit, in der Disziplin und körperliche Züchtigung von Kindern teils als gute Erziehungsmethoden angesehen wurden, galt es als selbstverständliches elterliches Recht, Kinder nach eigenem Ermessen auch sehr hart körperlich zu bestrafen.
    Doch Josef Fritzls Erziehung war um einiges unangenehmer als die der meisten anderen Kinder in dieser Zeit. Seine Mutter ließ ihn nie irgendeine Form von Zuneigung spüren. Er erfuhr von ihr nur Regeln, Strenge und Bestrafung. Verschlimmert wurde dies noch dadurch, dass die Mutter ihm Freundschaften mit anderen Kindern verbot und er niemals ein Kind mit zu sich nach Hause bringen durfte. So blieb dem kleinen Josef nichts anderes übrig, als sich – wie es viele Kinder, die vernachlässigt und misshandelt werden, tun – zunehmend in sich selbst und seine Fantasiewelt zurückzuziehen.
    Doch diese Fantasiewelt unterschied sich von der anderer Kinder deutlich. Er nannte es selbst »seine dunkle Seite«. Seine sadistischen Fantasien, in denen es ihn sexuell erregte, sich vorzustellen, Frauen zu erniedrigen und zu quälen, dürften sich – wie bei den meisten bösartigen Sadisten – schon in seiner frühen Jugend entwickelthaben. So sagte er zu seiner Gutachterin: »Ich bin zur Vergewaltigung geboren und habe mich für relativ lange Zeit zurückgehalten. Ich hätte wesentlich Schlimmeres tun können, als meine Tochter einzusperren.« Tatsächlich wurde Fritzl 1967 – da war er zweiunddreißig Jahre alt, verheiratet und bereits vierfacher Vater – für Exhibitionismus und die Vergewaltigung einer vierundzwanzigjährigen Frau, in deren Wohnung er eingebrochen war, zu achtzehn Monaten Gefängnis verurteilt. Diese Strafe schreckte ihn tatsächlich davon ab, sich weitere fremde Opfer zum Ausleben seiner gewalttätig-sexuellen Fantasien zu suchen.
    Wie alle bösartigen Sadisten verwechselte er zeitlebens Liebe und Nähe mit Kontrolle, Macht und Gewalt. Noch im Gefängnis sprach Fritzl einem Reporter gegenüber von »Liebe«, die er für seine vierundzwanzig Jahre im Keller gefangen gehaltene Tochter und die mit ihr durch Vergewaltigungen gezeugten Kinder empfinde. In seinem Erleben ist dies auch kein Widerspruch, denn für ihn ist Liebe gleichbedeutend mit Unterdrückung und völligem Besitz der Menschen, die er zu lieben meint.
    Seine Mutter lehnte ihn vehement ab, und so keimte in ihm der Wunsch auf, sich die Liebe, die er wollte, mit Gewalt zu nehmen. Das in seiner Kindheit entstandene Gefühl, seine Mutter könne und würde ihn jederzeit zurückweisen, trieb seine Fantasie an, einen Menschen im wörtlichen Sinne an sich zu ketten. Josef Fritzl zahlte übrigens seiner Mutter die Qualen seiner Kindheit Jahrzehnte später zurück: Als sie alt wurde, nahm er sie in das Haus auf, in dem er mit seiner Frau und seinen Kindern lebte. Er sperrte sie in einen fensterlosen Raum, in dem sie bis zu ihrem Tod 1980 alleine war. So wurde sie zu seiner ersten Gefangenen.
    Fritzl selbst ist durch die Erlebnisse in seiner Kindheit auch in gewisser Weise ein Gefangener geworden, gefangen in seinem eigenen Kopf. Er schuf sich eine Welt, die nur oberflächliche Berührungspunkte mit der Wirklichkeit hatte. Wie in den Matrix -Filmen lebte er in einer künstlichen Welt, die er jederzeit betreten und verlassen konnte, um sich in der Wirklichkeit völlig unauffällig zu verhalten. Das machte es für ihn nur naheliegend, die Tochter, die erals seinen ganz persönlichen Besitz für immer kontrollieren wollte, in einen »Außenposten« seiner Fantasiewelt – nämlich seinen Keller – einzusperren. In dieser Welt hatte er die absolute

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