Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
ähnlich, der ebenfalls zwischen Grausamkeit und Zärtlichkeit hin- und herschwankte.
In der Wunschvorstellung dieser Männer sollten die Frauen in ihrem Besitz einfach alle Bedürfnisse gleichzeitig erfüllen: Dienerin, Helferin, Hausfrau, Sklavin, aber auch Freundin, Vertraute, Liebste und Partnerin. Wie verzweifelt sich Priklopil neben Macht und Kontrolle auch Zärtlichkeit und Nähe wünschte, wird an einer Gewohnheit deutlich, die Natascha Kampusch in ihrem Buch beschreibt. Er holte sie ab ihrem vierzehnten Lebensjahr in sein Bett, um mit ihr nachts zu kuscheln. Damit sie dabei nicht weglaufen konnte, fesselte er sie mit Kabelbinder an sich. Irgendwann erlaubte er ihr, ihn »Wolfgang« zu nennen.
Auch Priklopil war klar, dass sein mit aller Gewalt erschaffener Traum zerplatzen würde, wenn er sich eine Unachtsamkeit erlaubte. Damit sie erst gar nicht wagte, einen Fluchtversuch zu unternehmen, erzählte er Natascha, er habe an den Türen und Fenstern seines Hauses Sprengfallen eingebaut, die hochgehen würden, wenn sie versuchen würde, zu fliehen. Fritzl ging ja ähnlich vor, als er behauptete, wer an der Tür des Kellerverlieses herumspiele, würde einen tödlichen Stromschlag erleiden. Aber im Gegensatz zu Fritzl nahm Priklopil seine Gefangene nach einigen Jahren sogar kurzzeitig mit nach draußen. Das Mädchen hatte sich äußerlich so stark verändert, dass er nicht befürchten musste, jemand würde sie auf der Straße erkennen. Sie gingen gemeinsam einkaufen, spazieren und fuhren einmal sogar zu einem Skiausflug. Natascha musste mit ihm sogar eine Eigentumswohnung renovieren.
Sie hatte bei diesen kurzen Aufenthalten draußen aber keine Möglichkeit zu fliehen. Priklopil hatte ihr mehrfach angedroht, sie, ihre Eltern und jeden, den sie draußen um Hilfe bitten würde, zu töten. Warum sie so lange keinen Fluchtversuch unternahm, beschrieb sie der Polizei gegenüber mit den – völlig nachvollziehbaren – Worten: »Ich konnte mir keine fehlgeschlagenen Fluchtversuche leisten, ich hatte Angst, dass er mich für immer unten einsperrt oder noch schlechter behandelt.«
Während Priklopil sich immer sicherer fühlte und seine selbst erschaffene Lebenswelt mit der scheinbar perfekten Partnerin genoss, wunderten sich sowohl die Nachbarn als auch seine Mutter darüber, dass er keine Frau fand. In der Nachbarschaft wurde getuschelt, er sei wahrscheinlich schwul. Seine Mutter sagte später in einem Interview: »Ich habe ihn oft gefragt, warum er denn keine Freundinnen hätte. Da hat er immer forsch geantwortet: ›Mama, das geht dich nichts an!‹«
Am 23. August 2006, mehr als acht Jahre nach ihrer Entführung, gelang Natascha Kampusch die Flucht aus der völlig verrückten Lebenswelt des eigenbrötlerischen Nachrichtentechnikers. Sie saugte gerade sein Auto, als er einen Anruf bekam. Weil er wegen des Staubsaugerlärms den Anrufer nicht verstehen konnte, musstePriklopil sich einige Meter von seiner Gefangenen entfernen. Ihr fiel dabei auf, dass er vergessen hatte, die Gartentür abzuschließen. Diese Möglichkeit zur Flucht nutzte sie und rannte zur Straße. Obwohl sie mehrere Menschen ansprach, half ihr niemand. Vielleicht dachten die Fußgänger, das stark verängstigte Mädchen sei betrunken oder drogenabhängig. Schließlich klingelte sie an der Tür einer alten Frau, die die Polizei rief.
Wolfgang Priklopil bemerkte die Flucht seiner Gefangenen schnell. Er suchte sie mit dem Auto, doch schnell war ihm klar, dass das wohl sinnlos war. Panisch rief er seinen langjährigen Geschäftspartner und engsten Bekannten Ernst H. an. Dieser schilderte in einer Pressekonferenz, was sich dann ereignete:
Am Nachmittag rief er mich mit folgenden Worten wieder an: »Ich bin im Donauzentrum bei der alten Post. Bitte hol’ mich ab. Es ist ein Notfall. Bitte komm sofort.« Er hat sehr aufgeregt gewirkt, und ich habe daher nicht mehr weiter nachgefragt, sondern bin auf dem schnellsten Weg zum Donauzentrum gefahren. Als ich ankam, stieg er sofort ein und sagte, ich solle die Wagramerstraße stadteinwärts fahren. Er sagte: »Bitte fahr, reden wir später.« Wir fuhren also über die Wagramerstraße, über den Praterstern in die Dresdnerstraße in Wien 20. Dort fanden wir einen Parkplatz. Dann bat er mich, mein Handy abzuschalten, damit wir ungestört reden können.
Er erzählte mir, dass er soeben in angetrunkenem Zustand einer Polizeikontrolle davongerast wäre. Er war sehr aufgeregt und sagte einige Male: »Die nehmen
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