Aus der Hölle zurück
Rückenschmerzen ließen langsam nach. Die Schläge auf den Kopf, die zuerst sehr wehgetan hatten, schmerzten jetzt weniger. Ich überlegte, ob sie mich nicht erneut zum Verhör rufen würden. Diese Befürchtung war vollauf begründet. Einige von uns waren mehrfach verhört worden.
Zwei Wochen nach dem »Treff« bei der Gestapo bekam Sukiennik eine im Morsealphabet über das Heizungsrohr weitergegebene Nachricht aus der Nebenzelle. Irgendein Häftling ließ mir vom Vater mitteilen, daß er mir für mein Verhalten im Untersuchungsverfahren danke, und daß ich weiter tapfer bleiben solle. Der Häftling gab an, daß er mit meinem Vater zusammen im Keller in der Kilińskiego-Straße gesessen habe. O mein Gott – dachte ich. Dem Vater war es bestimmt viel schwerer gefallen, der Gestapo gegenüber seine Kontakte mit der Wyrzykowska zu erklären. Er hatte ihnen etwas sagen, sich herauswinden müssen. Er hatte sich nicht durch Heulen aus der Patsche helfen können wie ich. Er war geprügelt und gepeinigt worden, und trotzdem dachte er an mich.
Wiederum weinte ich, aber irgendwie anders als zuvor. In mir war etwas zersprungen. Ich weinte innerlich. Aus den Augen wollten keine Tränen mehr fließen. Die Verzweiflung hatte mich im Laufe dieser wenigen Tage seit dem Verhör verlassen, und ich wurde sozusagen innerlich härter. Ich war mir bewußt, daß ich zum nächsten, weitaus schlimmeren Verhör gerufen werden könnte. Auch wenn ich die Angst vor dem Prügeln nicht restlos unterdrücken konnte, begann ich am Ende – ich konnte sowieso nichts verhindern – in Gedanken Antworten auf Fragen zurechtzulegen, die mir die Gestapo-Leute unter Umständen stellen würden. Dabei kam nicht viel heraus. Wonach oder nach wem sie auch fragen sollten, ich durfte keine eindeutige Antwort geben. Nur würde mir das gelingen? Ich hatte Angst, mit irgend jemand aus der Zelle meine Zweifel zu erörtern. Bisher hatte ich mich gegenüber meinen Zellengenossen nicht als geheimer Widerstandskämpfer zu erkennen gegeben. Angeborene Wachsamkeit und die Pfadfinderlosung »Vertraue nur dir selbst!« hatten mich vorsichtig werden lassen.
Eines Nachmittags wurde ein weiterer Häftling in unsere Zelle gepfercht. Es war der Maler Eugeniusz Wojciechowski. Er war jung und … fröhlich. Im Erzählen von Witzen und Anekdoten war er unübertroffen. Er erzählte uns, daß er von irgendeinem Spitzel denunziert worden sei. Er hatte in seinem Arbeitsraum das Bild von Hitler mit gezwirbeltem Schnurrbart und langen Ohren versehen. Man hatte ihn tüchtig durchgewalkt und zum Konzentrationslager verurteilt. Er wartete auf seinen Abtransport. Ein paar Tage später kamen noch drei Häftlinge in unsere Zelle, und dann nochmals zwei. Es war furchtbar eng. Es fiel immer schwerer, sich zu bewegen, und das Schlafen war eine wahre Qual.
Wir waren über 20 Mann. Von den Neuzugängen erfuhren wir von weiteren Erfolgen der Nationalsozialisten in der Sowjetunion. Das bewirkte, daß in der Zelle eine sehr trübe Stimmung aufkam. Nach ein paar Tagen, am 20 . November 1941 , kam es unerwartet zu einer Belebung, denn in den Zellen wurden morgens die Namen bestimmter Häftlinge aufgerufen. Worum ging es? »Alle Sachen mitnehmen«, hörten wir durch die Tür. Irgendeine Veränderung war eingetreten, nur was für eine und für wen? Die Tür der Zelle ging auf, und auf dem Flur standen zwei Gestapo-Leute und ein polnischer Wärter. Es fielen die Namen Wojciechowski, Rychlewski, Lipiński, Wieczorkowski, Szulakowski und Sobolewicz. Ich war überrascht. Also kein weiteres Verhör?! Sie haben zu viele Häftlinge, und sie haben keine Zeit, sich über solche wie mich den Kopf zu zerbrechen – schoß es mir durch den Sinn. Die Aufgerufenen verabschiedeten sich hastig von ihren Leidensgefährten. Ich warf mich Sukiennik an den Hals und dankte ihm für seine Fürsorge und Betreuung. Er konnte mir eben noch zuflüstern: »Ihr kommt nach Auschwitz! Halt die Ohren steif!« Ich drückte ihm herzlich die Hände und verließ die Zelle. Für ein längeres Gespräch war keine Zeit mehr.
»Los, los!« brüllte der Gestapo-Aufseher. Auf dem Flur wurde ich zu den andern gestoßen, und wir mußten nach unten in die Verwaltung gehen. Dort händigte man uns die Gürtel und die bei der Einlieferung abgenommenen Kleinigkeiten aus.
Dann wurde uns befohlen, die Urteile zu unterschreiben, aufgrund derer wir ins Konzentrationslager eingewiesen wurden. Sie befahlen es – und ich unterschrieb, ebenso
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