Aus der Hölle zurück
mit den Stiefeln in den Bauch und an den Kopf zu treten. Ich riß mich zusammen und versuchte mühsam, die Schreie zu unterdrücken, die meinem Hals entfliehen wollten. Ich konnte mich nicht mehr beherrschen. Am Ende entrang sich mir ein furchtbarer Aufschrei: »Was wollt ihr von mir? Ich weiß von nichts!« Der in Handschuhen setzte mich zurück auf den Stuhl und versetzte mir einen Kinnhaken. Mir schien, daß irgend etwas geknirscht hatte. Aber nein. Noch hielt ich mich, nur plötzlich war mir furchtbar nach Weinen zumute. Nach dem ersten Schlag schrie ich noch einmal: »Ich weiß von nichts! Was werft ihr mir vor? Ich weiß gar nichts.«
Ich brach in Weinen aus, in ein langes, von Herzen kommendes, hingebungsvolles Weinen. Ich heulte und schluchzte, bis der, der auf mich einschlug, aufhörte. Der in Zivil drückte seine Zigarette aus und gab dem andern ein Zeichen, er solle mich abführen. Als die Tür aufging, erschien darin ein anderer Gestapo-Mann und hinter ihm in Handschellen – geprügelt und gefoltert – mein Vater. Im Vorbeigehen konnte ich ihm kurz ins Gesicht sehen. Darin standen entsetzlicher Schmerz, Entsetzen und Verzweiflung geschrieben. Mir blieb das Herz stehen. Ich war gleichsam gelähmt. Erst der in den Handschuhen drängte mich weiter und befahl mir, durch eine andere Tür hinauszugehen. »Ich habe nichts …« In diesem Augenblick bekam ich einen gewaltigen Schlag mit dem Revolverkolben auf den Kopf. Ich strauchelte, behielt aber das Gleichgewicht. Es gelang mir, dem Vater zuzuzwinkern, daß ich nichts verraten hatte. Ich war mir nicht sicher, ob er mich verstanden hatte. Der mich vom Verhör abführende Gestapo-Beamte befahl mir, rasch nach unten zu gehen.
Sie brachten mich nicht in den Keller, sondern setzten mich auf einen großen, mit einer Plane überdeckten Lastwagen. Nach einer Weile kamen mehrere andere, soeben verhörte Häftlinge hinzu, die ähnlich wie ich verprügelt worden waren. Sie brachten uns zurück ins Gefängnis. Ich konnte mich kaum bewegen. Die Rückenschmerzen konnten bedeuten, daß ich gebrochene Rippen hatte. In der Zelle erfuhr ich, daß man drei unserer Leidensgefährten abgeholt hatte, um sie wahrscheinlich in den Wäldern bei Częstochowa zu erschießen. Sukiennik versuchte, mich aufzuheitern, gab es aber bald auf. Er erkannte, in welchem Zustand ich mich befand. Er erlaubte mir, mich auf den Strohsack zu legen. Ich kehrte den Kopf der Wand zu, und die Tränen rannen mir ganz von allein über die Wangen.
Der körperliche Schmerz war unwichtig. Am meisten schmerzte, daß sich alles als vergeblich erwiesen hatte: Unsere Flucht, ein ganzes Jahr leben im Verborgenen und die weitere Konspiration unter falschem Namen. Alles war dahin. Der Vater befand sich in ihren Händen. Das war das Schlimmste, das war eine absolute Niederlage. Die Mutter im Lager, der Vater in den Fängen der Gestapo und ich, von diesen Verbrechern zusammengeschlagen, im Gefängnis. Daß die schwarzhaarige Wyrzykowska das Prügeln nicht ertragen hatte, war ebenso entsetzlich wie die Art und Weise, wie sie »gesungen« hatte. »Ich hab ihnen alles gesagt«, dröhnte es mir in den Ohren. Aber was hatte sie ihnen wirklich gesagt, was schon? Wahrscheinlich alles: von wem sie Päckchen abgeholt hatte, bei wem sie sie abgegeben hatte, von wem sie Meldungen bekommen hatte, um sie an den Vater und an andere weiterzugeben. O mein Gott! Und das war erst der Anfang. Doch vielleicht waren die andern gewarnt worden. Vielleicht war es ihnen gelungen, der Verhaftung zu entgehen. Vielleicht waren die Deutschen eben deshalb so wütend. So viele Fragen taten sich auf.
In den nächsten Tagen dachte ich immer wieder an das Verhör. Die Tatsache, daß ich bei ihnen geheult hatte, ließ mir keine Ruhe. Weinen war immer ein Zeichen von Schwäche für mich gewesen. Ich hatte mich zwar zusammengenommen und nichts gesagt, aber ich hatte geheult. Das Weinen war in diesem Fall meine Selbstverteidigung gewesen. Ich war kein Kind mehr, aber ich war auch noch nicht ganz erwachsen, rechtfertigte ich mich vor mir selbst. Der Vater hatte mich gemahnt, tapfer zu sein. Tapferkeit aber beweist man nicht durch Weinen, beschuldigte ich mich selbst. Dieses Problem quälte mich sehr lange. Am Ende reifte in mir die Überlegung heran, daß – da ich nichts gesagt und niemanden verraten hatte – mein Geheul durch die erlittenen Wunden, durch Schmerz, Prügel und Leiden zu entschuldigen war.
Es vergingen mehrere Tage. Die
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