Aus der Hölle zurück
seiner Einlieferung rief der Saalälteste abends seine Nummer auf. Er teilte ihm mit, daß er den Krankenbau morgens verlassen müsse. Er werde eine Häftlingskluft bekommen und solle sich nach dem Morgenappell bei Rapportführer Palitzsch, neben dem Block 24 , melden.
Mieczyslaw war zwar erst kurze Zeit im Lager, aber er wußte, was das zu bedeuten hatte. Ich war entsetzt und ratlos. Wie konnte man ihm helfen? Als er mir sagte, daß das das Ende bedeute, widersprach ich. Ich versuchte ihn zu überzeugen, daß er vielleicht nur zu einem Verhör in die Politische Abteilung gerufen werde. Er aber war anderer Ansicht. »Meine Sache hat schon schlimm ausgesehen, bevor sie mich hierher gebracht haben«, meinte er. Er erwähnte auch, daß man in seiner Wohnung Waffen gefunden habe. Das erkläre vieles. Nachts konnte ich lange nicht schlafen. Nebenan auf der Pritsche lag Mieczyslaw. Von Zeit zu Zeit wälzte er sich auf die andere Seite. Er schlief nicht, er quälte sich. Ich stellte mir vor, was er empfinden mochte. Ich bemitleidete ihn sehr. Aber Mitleid änderte nichts. Bei dem abgedunkelten Licht im Saal sah ich, daß er sich die Decke über den Kopf zog. Nach einer Weile hörte ich ein Schluchzen und sein flüsterndes Gebet »Deinem Schutz und Schirm empfehle ich mich …«
Unter Tränen schlief ich ein. Am nächsten Morgen versuchte ich, ihm zuzulächeln. Aber das gelang mir nicht sonderlich. Der Abschied kam. »Halt die Ohren steif!« meinte er zu mir. »Bleibt gesund«, wandte er sich an die anderen Leidensgefährten, die auf den Nachbarpritschen lagen. Ich umarmte und küßte ihn. Es nahte der Appell. Der Saalälteste war aufgeregt. »Schneller!« drängte er. Mieczyslaw wandte sich zur Tür. Nach dem Appell und dem Formieren der Arbeitskommandos, die dann das Lager verließen, wurde Blocksperre angeordnet (keiner durfte den Block verlassen). Nachmittags erfuhren wir, daß 168 Häftlinge des Krakauer Transports im Block 11 erschossen worden waren.
Der Tod erntete immer neue Opfer. In den Typhusräumen starben erst Major Kazimierz Kosiba und dann der Lehrer Edward Szwarc aus Czȩstochowa von meinem Transport. Es starben der Lehrer Józef Rychlewski und Rechtsanwalt Tadeusz Lipiński, beide von meinem Transport aus Czȩstochowa. Obwohl sie den Typhus überstanden hatten, starben sie im Schonungssaal. Für beide wurde ich zum Totenträger. Ich mußte ihre Leichen von den Pritschen ziehen, ihnen die Nummern auf die Brust malen und sie zusammen mit dem Saalältesten in den Waschraum bringen, wo die Leichen vorübergehend »gelagert« wurden. Dort wurden sie bei Gelegenheit von den Leichenträgern abgeholt und zum Krematorium gebracht.
Unter den Kranken lag auf einer der Pritschen Baworowski, der athletisch gebaute, ehemalige Dolmetscher des Lagers. Freunde aus dem Lager besuchten ihn und brachten ihm ein Stückchen Brot oder eine Schüssel Suppe, um ihm zu helfen. Er aß aber nur wenig. Er verteilte die Lebensmittel an andere oder tauschte sie gegen »Matoni«-Wasser ein, das man in der Lagerkantine kaufen konnte. Es halfen keine Beteuerungen, daß ihm das schade. Im Laufe einer Woche war er so aufgedunsen, daß man seine Gesichtszüge nicht wiedererkennen konnte. Er hörte auf, die Pritsche zu verlassen. Den Harn ließ er im Bett ab. Er jammerte und flehte, man möge ihm Wasser geben. Beim morgendlichen Ordnungsmachen stellten wir fest, daß er gestorben war. Zu zweit war es unmöglich, seine Leiche von der mittleren Pritsche zu ziehen. Erst zu viert gelang es uns, seinen aufgedunsenen Körper ins Erdgeschoß zu bringen und ihn auf eine Trage der Leichenträger zu legen.
Eines Tages starben mehr als 15 Kranke, vorwiegend mit Phlegmonen und Geschwüren. Die Arbeit war grauenhaft, der Gestank einfach unerträglich. Am Abend, nach getaner Arbeit, als ich ausgehungert ein Stück Brot essen wollte, spürte ich an meiner Hand trotz des vielmaligen Waschens noch den Leichengeruch. Ich aß, obwohl jeder Bissen vom Geruch jener Leute durchtränkt zu sein schien, die nicht mehr am Leben waren.
Nach einer weiteren Woche meiner Tätigkeit als Hilfspfleger wurde ich immer gleichgültiger, immer abgestumpfter gegen den Anblick des Todes. Er machte keinen Eindruck mehr auf mich, es war zuviel davon um mich herum. Ich wurde mir bewußt, daß der Häftlingskrankenbau eine entsetzliche, perfide von der SS erdachte Farce war, daß man den Kranken nicht viel helfen konnte, weil es keine Medikamente gab, daß der Organismus des
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