Aus der Hölle zurück
Stückchen Brot übers Fensterbrett. Er blickte sich vorsichtig um und hob die kostbare Beute vom Boden auf. Mit einer Handbewegung dankte er mir. »Komm morgen oder übermorgen wieder! Ich bring dir Suppe. Immer um diese Zeit. Halt die Ohren steif!« rief ich ihm nach. Er winkte mir noch einmal zu und verschwand im Gewühl der Häftlingsreihen, die sich allmählich zum Appell aufstellten. Ich dankte Ostańkowicz und kehrte zu meinen Obliegenheiten zurück.
Und wieder ergriffen mich trübe Gedanken. Sie hatten also auch den Vater nach Auschwitz geschickt. Wie würde er das aushalten? Die Mutter im Lager, der Vater im Lager, und ich … Ach, warum nur? Warum prüfte uns das Schicksal so schwer? Nach einer Weile biß ich mir auf die Lippen und gab mir selbst die Antwort. Offensichtlich hatte die Vorsehung es so gewollt. Weil wir Polen sein wollten. Stets hatte jemand um dieses Polen gekämpft. Ohne Kampf gab es kein Polen.
Der Saalälteste rief mich, damit ich zusammen mit den andern die Kessel mit dem »Tee« brachte. Man durfte nicht aufgeben. Ich unterdrückte Bitternis und Sehnsucht in mir, Sehnsucht nach der verlorenen Freiheit, nach dem Elternhaus, nach der Betreuung durch die Eltern. Was half’s! Ich befand mich nicht allein in Haft. Andere litten ebenfalls.
Durch das Fenster des Krankenbaus warf ich meinem Vater noch mehrmals Brot und Zigaretten zu oder füllte seine Suppenschüssel. Meist während der Dämmerung. Es war verboten. Ich brachte nicht nur mich, sondern auch Ostańkowicz in Gefahr. Am wichtigsten war, daß ich nicht erwischt wurde.
Die vom SS -Arzt angesetzten Selektionen fanden immer häufiger statt. Die mir wohlgesinnten Ärzte und Saalältesten fürchteten, daß am Ende auch ich der Gruppe der zum Abtransport nach Birkenau Verurteilten zugewiesen werden konnte. Ich sah trotz der besseren Verpflegung jämmerlich aus. Ich war abgemagert und knochig. Die Befürchtungen konnten sich als begründet erweisen, denn bei einer der Selektionen wurden zwei – so wie ich – als Kranke geführte Saalhelfer zu den Ausgesonderten geschickt. Die Reklamationen der Ärzte halfen gar nichts. Alles Gute geht früher oder später einmal zu Ende. Auch mein Dienst im Häftlingskrankenbau des Lagers ging zu Ende. Obwohl ich betrübt war, daß ich mich von den im Revier kennengelernten Häftlingen, den Ärzten und Pflegern, trennen mußte, war ich ihnen dennoch dankbar; ohne ihre Unterstützung hätte ich die schwere Zeit der Anpassung in den ersten Lagermonaten nicht überstanden.
Nach der Entlassung aus dem Krankenbau wurde ich in den Block 18 eingewiesen. Erneut mußte ich mich an die Hast und den Rhythmus des Lagerlebens gewöhnen. Das Kommando, dem ich zugeteilt wurde, nannte sich DAW (Deutsche Ausrüstungswerke). Es wurden viele Tischler gebraucht, und so avancierte ich vom Hilfspfleger zum Tischlergehilfen. Ältere Häftlinge brachten mir bei, aus von anderen Häftlingsgruppen vorbereiteten Teilen ganze Schränke zusammenzufügen. Ich hobelte unebene Kanten der Schränke glatt, schliff mit Sandpapier die Wände sauber, half beim Transportieren der fertigen Schränke oder anderer Einzelteile.
Wir hatten bei der Arbeit ein Dach über dem Kopf, und das hatte schon etwas zu bedeuten. Ich gab mir Mühe, damit man mich nicht auf den Holzplatz oder zu einer anderen Arbeit unter freiem Himmel versetzte. Nach einer Woche glaubte ich, meine Pflichten gut zu kennen. Aber dies war ein Irrtum. Ich wurde zusammengestaucht, weil ich einige Teile nicht genau genug zusammengesetzt hatte, und mir drohte die Verlegung.
Unterdessen kam es im Lager zu einer Sensation – es trafen Frauen ein, weibliche Häftlinge aus Krakau, aus Schlesien und aus Warschau. Zehn gemauerte Blocks an der Außenseite des Stammlagers wurden durch eine 4 m hohe Mauer abgegrenzt, und dort brachte man die Frauen unter, gleich ein paar Tausend. Das Lager für die sowjetischen Kriegsgefangenen wurde nach Birkenau verlegt. Von den fast 12 000 im September 1941 eingelieferten Gefangenen marschierten nur noch etwa 1000 , zu lebenden Schatten abgemagerte Menschen in das neue Lager. Die Drahtzäune, die das »Russenlager« vom restlichen Teil des Geländes getrennt hatten, wurden abgerissen, und die Blocks füllten sich mit neuen Häftlingen, die ununterbrochen mit Transporten aus dem ganzen Generalgouvernement im KZ Auschwitz eintrafen.
Ich bemerkte, daß die erst jetzt ins Lager Eingelieferten von einigen schon längere Zeit hier weilenden
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