Aus der Hölle zurück
ein Kranker im Fiebertraum seinen Decknamen und meldete sich bei seinen Vorgesetzten. Ein anderer phantasierte laut über die Liebe zu seiner Frau. Und ein dritter heulte, weil er seine Frau betrogen hatte. Im Fieberwahn bekannte er seine Sünde wie bei der Beichte. Einige beteten laut. Von Zeit zu Zeit schrie einer entsetzlich auf, bäumte sich auf der Pritsche auf und tat seinen letzten Atemzug. Während des Typhusfiebers hatten die Kranken furchtbaren Durst. Man mußte ihnen Wasser oder Tee-Ersatz zu trinken geben, ihnen das Becken bringen und dann wieder wegtragen, weil die meisten sich nicht rühren konnten. Manchmal mußte man einem sterbenden Häftling die Hand halten, weil er jammernd darum bat. In der Nacht, beim abgedunkelten Licht in dem kleinen Saal, in dem etwa 30 Kranke atmeten, herrschte stickige Luft. Man fühlte sich erdrückt von der unheimlichen Atmosphäre des Leidens und der Bedrohung. Erleichtert übergab ich die Nachtwache dem nächsten diensthabenden Rekonvaleszenten.
Nach drei Wochen verlegte man mich in einen Saal für Genesende im ersten Stock des Blocks 20 . Es war ein großer Raum mit Pritschen für ungefähr 100 Häftlinge. Saalältester war Stanisław Glowa, seine rechte Hand Stanisław Rospenk. Sie kannte mich schon von früher her aus den Typhusräumen von Hordyński, Lewandowski und Ostańkowicz, wo ich vorübergehend mehrere Nachtwachen gehabt hatte. Glowa beschloß, mich mit Genehmigung des Blockältesten als Hilfspfleger zu beschäftigen, wobei ich weiterhin als Kranker geführt wurde.
Zu den schon früher ausgeübten Pflichten kamen neue hinzu. Ich war verantwortlich für Sauberkeit und Ordnung, für die ordentlich gemachten Betten der Kranken in mehreren Pritschenreihen. Darüber hinaus mußte ich zusammen mit den anderen Pflegern die Kessel oder Fässer mit der Lagersuppe vom Erdgeschoß in den ersten Stock tragen und zu allem Übel auch noch den Bettlägrigen auf den Pritschen die Schüsseln mit der Suppe bringen. Eine neue, mir zugewiesene Beschäftigung bestand darin, daß ich die Leichen der verstorbenen Mithäftlinge hinaustragen mußte. Meist machten das die Saalpfleger, aber beim Tode eines Häftlings mußte die Leiche von der Pritsche gezogen werden. Das machten wir gewöhnlich zu zweit, zusammen mit Rospenk.
Wenn wir die Leichen herausgezogen hatten, legten wir sie auf eine ausgebreitete, extra dafür vorgesehene Decke. Dann schrieben wir die Nummer des verstorbenen Häftlings mit Kopierstift auf Brust und Unterarm und wickelten ihn in die Decke. Wir hoben ihn auf und trugen ihn die Treppe hinunter in den Flur des Erdgeschosses. Von dort aus schafften andere Häftlinge vom Leichenträger-Kommando die Toten fort. Sie stapelten, je nach dem Gewicht der Leichen, zwei oder drei Tote auf spezielle Tragen, an deren Griffen Riemen befestigt waren, die sie sich wie Tragjoche um den Hals legten. Auf diese Weise konnten sie sicher sein, daß sie die Last auch wirklich bis zu dem auf dem Hof stehenden Leiterwagen oder direkt bis zum Krematorium des Lagers schaffen würden.
In dem Saal, in dem ich meinen Pflichten als Hilfspfleger nachkam, starben im Laufe von 24 Stunden fünf bis zehn Häftlinge. Das Fortschaffen der Leichen war an sich schon eine unangenehme, traurige Pflicht. Unter den spezifischen Bedingungen des Lagers war es eigentlich ein Begräbnis. Zu den unangenehmsten Obliegenheiten gehörte dagegen das Aufräumen der Pritschen, auf denen die Häftlinge gestorben waren. Die Decken und Strohsäcke waren meist furchtbar verdreckt, und das nicht nur durch Exkremente. Viele Häftlinge, die an Typhus erkrankt und in den Krankenbau eingeliefert worden waren, litten an Phlegmonen, das heißt an entsetzlichen Geschwüren, aus denen der Eiter langsam in die Decke oder den Strohsack sickerte. Ich sah ausgedehnte, 30 Zentimeter und mehr messende Eiterherde. Ich erblickte vollkommen verfaulte menschliche Füße, aus denen, nachdem die Ärzte einen Drain gelegt hatten, eine eitrige Absonderung herausfloß, deren Gestank einfach unerträglich war.
Im Schonungssaal (für Genesende) lagen nicht nur Häftlinge nach überstandenem Typhus oder Typhusexperimenten, sondern auch Patienten nach leichten Operationen, nach einer Lungenentzündung oder Bronchitis. Viele litten an Durchfall. Dieser war unter den beschränkten Möglichkeiten in diesem Krankenbau schwer zu bekämpfen. Im Saal herrschte – trotz Desinfektion, trotz offener Fenster, und obwohl der Betonfußboden täglich
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